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Zeitschrift für Hochschuldidaktik Nr. 1-2/1996:
Qualität der Hoschschullehre
4.3. Demotivierende Faktoren:
4.3.1. Die Angst erkannt zu werden/Schwellenangst/Scham, etwas nachholen zu müssen:
Der Einstieg in einen dem Berufsleben konträren und eher mit Jugend verbundenen Bildungsprozeß ist mit einer gewissen "Schwellenangst" verbunden. Es geht hier eigentlich um eine Scham, mit dem Besuch des Studienberechtigungslehrganges zu zeigen, daß man einen Bildungsnachholbedarf hat. Wie dieses Manko in der nahen Umgebung interpretiert wird bleibt aber offen. Diese Offenheit macht unsicher. Außerdem fällt es nicht leicht, nach einer so langen Pause wieder zu lernen. Man fühlt sich gegenüber den jüngeren Studenten unsicher und als Späteinsteiger abgestempelt.
4.3.2. Prüfungsangst:
Man weiß eigentlich nicht recht, wie man mit Prüfungssituationen umgehen soll: Es fehlt das lockere Herangehen an Prüfungen und es gibt Unsicherheiten bezüglich der inhaltlichen Anforderungen, dem sogenannten "Level" und der Art der Prüfungen. Hinzu kommt der eigene hohe Anspruch. Was Prüfungen anlangt gibt es eine sogenannte "Gerüchteküche", die anscheinend für Negatives besonders empfänglich ist.
Viele Teilnehmer legen nach ungefähr 20 Jahren wieder ihre ersten Prüfungen ab. Dabei werden alte Schulerfahrungen wieder wach und wirksam. Sie können nicht mehr mit Prüfungssituationen umgehen oder nur sehr schwer, ihnen fehlt die Routine im "Schülerverhalten".
4.3.3. Stoffülle:
Das Prüfungsfach Geschichte wirkt erdrückend durch eine "immens konturlose Überschwemmung mit Stoff".
4.3.4. Orientierungslosigkeit:
Die größten Schwierigkeiten stellen die Anfangsbedingungen dar. Die Informationen sind verwirrend, unklar und zum Teil sogar falsch; man weiß eigentlich nicht, welche Lehrveranstaltungen besucht werden müssen, welche Wahlmöglichkeiten es in bezug auf die Fächer gibt. Die Einführungsveranstaltung verunsichert dermaßen, daß man sich danach weniger auskennt als vorher. Die unklaren Anfangsbedingungen lassen phantasieren, ob man überhaupt "gewollt" ist.
4.3.5. Probleme mancher Universitätsangehöriger beim Umgang mit Erwachsenen verleiten zur Regression in überwunden geglaubte Lebensphasen:
Wer sich um die Studienberechtigung bewirbt und die Mühen der Unimaschinerie auf sich nimmt, erlebt sich in manchen Situationen als unmündiges Wesen, dessen Lebenserfahrung eigentlich nicht zählt - so als müßte man am Nullpunkt seines Lebens wieder anfangen.
Einer der wichtigsten Bereiche, der bei der Evaluation zur Sprache kam und von fast allen PrüfungswerberInnen bzw. LehrgangsteilnehmerInnen angesprochen wurde, war die Art und Weise, wie an der Universität mit berufstätigen Erwachsenen (auch Hausfrauen) in vielen Bereichen umgegangen wird. So meinten zahlreiche Befragte übereinstimmend: "Man bietet uns groß die Möglichkeit der Weiterbildung an der Universität an. Wenn wir dann hinkommen, werden wir dort behandelt, als möchten die uns gar nicht haben!" Dies sei in einigen Sekretariaten, aber auch bei manchen Lehrveranstaltungen so. Obwohl man für eine (unzureichende) Aufklärung über Studienmöglichkeiten sogar zahlen müsse (gemeint sind Informationsveranstaltungen am WIFI), wird den PrüfungswerberInnen an der Universität teilweise das Gefühl "der Ignoranz der eigenen Lebenserfahrungen" vermittelt, so als wüßten sie nicht, was sie tun, wenn sie sich für die Studienberechtigung entschließen.
Das dürfte wohl der Grund sein, warum es im Rahmen der Studienberechtigungsvorbereitung nicht zu einer wirklichen Begegnung zwischen "erwachsenen, berufstätigen Menschen" kommen kann, meinen viele Betroffene.
Eine solche Begegnung kann unserer Meinung nach nur dort zustandekommen, wo ein Mensch seine Gleichgültigkeit einem anderen gegenüber überwindet und sich ihm taktvoll zuwendet, d.h., wenn er bereit ist, auf die Erwartungen und Bitten des anderen einzugehen, ihm zu antworten und so Verantwortung zu übernehmen. Diese Hinwendung zum Mitmenschen wäre gerade von einer Bildungseinrichtung, wie es eine Universität ist, in besonderem Maße zu erwarten. Wo sonst, wenn nicht hier, sollte gelernt werden können, Vorurteile abzubauen und aufeinander in gegenseitiger Achtung, Toleranz und Hilfsbereitschaft zuzugehen und einander helfend beizustehen?
4.3.6. Unischock:
Die institutionelle Kultur der Universität unterscheidet sich in vielen Punkten drastisch von anderen Teilkulturen der Gesellschaft. Insbesondere gilt dies für den Umgang mit Autorität und für das unterschiedliche Verständnis von Zeit.
4.3.7. Informationswege/träger/formen:
Die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der Studienberechtigungsvoraussetzungen, die geforderten Eingangsqualifikationen werden in Frage gestellt. Diese erschweren und verzögern einen Beginn oder verhindern diesen sogar. Es wird dahingehend argumentiert, daß letztendlich doch Prüfungen über Bestehen oder Nichtbestehen und damit über Hochschulberechtigung entscheiden. Warum muß es noch eine zusätzliche Hürde geben? Im speziellen wird das geforderte fehlende Berufsausmaß von "nur" Hausfrauen und Müttern als Diskriminierung dieser Tätigkeiten empfunden und als Wiederspiegelung der gesellschaftlichen Geringschätzung der Hausfrauentätigkeit auch am Bildungssektor gewertet.
4.4. Lernprobleme im Prüfungsfach Geschichte
Ein Teil der Lehrgangsteilnehmer wünscht sich Lernen in strukturierten Zusammenhängen. Ein anderer Teil hat Probleme beim Denken und Lernen in strukturierten Zusammenhängen. Entsprechend unterschiedlich sind Ansprüche und Erwartungen an die Prüfung. Die einen empfinden den Prüfungsstoff als konturlos, die anderen haben Angst vor der Stofflawine und nur ein Teil kommt mit der Strukturierung gut zurecht. Die meisten aber wünschen sich eine Aufteilung des Prüfungsstoffes in Teilprüfungen.
Der Lehrkörper vertritt die Ansicht, daß Geschichte eine ganzheitliche Betrachtungsweise erfordert und daß isoliertes Faktenlernen diesem Anspruch nicht gerecht wird.
Uns fällt auf, daß sich die beiden Seiten bezüglich dieses Problems noch nicht zufriedenstellend verständigt haben.
5. Stärken, Schwächen, offene Fragen
5.1. Stärken:
- Lehrgangsangebot ist positiv,
- Lehrgang ist sehr kostengünstig,
- Rücksichtnahme auf zeitliche Möglichkeiten berufstätiger Erwachsener bei der Erstellung des Stundenplans ist groß,
- didaktische Qualifikation und Erfahrung der LehrgangsleiterInnen ist gut bzw. sehr gut,
- Lehrgangsteil "Einführung in wissenschaftliches Arbeiten" ist sehr gut,
- Angebot an Wahlfächern ist relativ groß.
5.2. Schwächen:
- Information ist zu wenig gründlich, manchmal sogar verwirrend und widersprüchlich, muß mühsam an verschiedenen Orten zusammengesucht werden (Studien- und Prüfungsabteilung, einzelne Fachprüfer an verschiedenen Instituten),
- umfassende schriftliche Information fehlt bzw. ist PrüfungswerberInnen nicht zugänglich,
- begleitende Betreuung der ratsuchenden BewerberInnen ist nicht ausreichend gewährleistet, jede Person würde mehrere Termine für Beratungsgespräche brauchen, bekommt aber nur einen,
- auf 1000 BewerberInnen kommt 1 Person in der Verwaltung, die andere Hauptaufgaben hat, und eine Person des wissenschaftlichen Personals, die ebenfalls andere Hauptaufgaben hat,
- Kriterien der Zulassung sind nicht durchsichtig, bereits die Formulierung im Gesetz ist schwammig,
- ÖH kümmert sich überhaupt nicht um die StudienberechtigungswerberInnen, es gibt dort kein Referat.
- Lehrgang ist zu wenig in den regulären Universitätsbetrieb eingebunden, es gibt zu wenig Kontaktstellen mit dem Regelstudium,
- TeilnehmerInnen werden zu wenig zur Vernetzung und Gruppenbildung angehalten, sind ziemlich isoliert, haben auch untereinander zu wenig Kontakt und Kommunikation,
- Verhalten mancher Personen des administrativen Personals an Instituten gegenüber BewerberInnen wird als unfreundlich und demotivierend erlebt,
- Stoffumfang in Geschichte bereitet zwar nicht im Kurs, wohl aber bei der Prüfung große Probleme und wird für viele zum Stolperstein,
- In einer bestimmten Veranstaltung des Lehrgangs fühlen sich die TeilnehmerInnen gelegentlich in die Rolle von Pflichtschülern versetzt.
- Auf wichtige Stärken wird viel zu wenig hingewiesen (Wahlmöglichkeiten, Lehrgang zur Einführung in wissenschaftliches Arbeiten)
5.3. Offene Fragen:
- Ist der "Kulturschock" der PrüfungswerberInnen beim ersten Kontakt mit der Universitätskultur (skeptische Denk- und Fragekultur, Fehlen des zweckrationalen Denkens, Umgang mit Zeit, mit Autorität etc.), die sich in vielen Belangen von der institutionellen Kultur öffentlicher Ämter, aber auch Schulen unterscheidet, ein heilsamer Schrecken oder eine unnötig große Verunsicherung, die ohne weiteres verringert werden könnte?
- Müßte bei den einzelnen Lehrgängen stärker auf die mitgebrachten Lebenserfahrungen der TeilnehmerInnen eingegangen werden?
- Ist es sinnvoll, Prüfungen in Freifächern durch Abprüfen von Buchinhalten zu erledigen?
6. Empfehlungen
Erstellung einer Broschüre über Studienmöglichkeiten an der Universität Klagenfurt (Was kann man studieren? Was sind die Inhalte der Studienfächer?) - mit den einschlägigen Anforderungen der Fächer bezüglich Studienberechtigung (vorgeschriebene Pflichtfächer, mögliche Wahlfächer)
- Institutionelle Verankerung einer professionellen Informations-, Beratungs- und Betreuungsstelle für Angelegenheiten der Studienberechtigung an der Universität
- Da bei der Bescheiderstellung verwaltungsmäßig Verzögerungen eintreten, wäre es sinnvoll, eine provisorische Teilnahme an Lehrgängen mit Zahlungsbestätigung, aber ohne definitiven Bescheid, zu ermöglichen. Grundsätzlich wäre natürlich eine raschere Bescheiderstellung erstrebenswert.
- Einrichtung eines Referates für die Studienberechtigung an der ÖH (Lehrgangsteilnehmer zahlen Beiträge!)
- Stärkerer Hinweis auf den Teillehrgang "Einführung in wissenschaftliches Arbeiten"
- Wahrnehmung des Rechtes auf passive Teilnahme bei Prüfungen (als Zuhörer)
- Anreize, Motivationen, Unterstützung durch die Lehrenden bei der Bildung von Studiergruppen.
7. Literatur
- ALTRICHTER, H. / POSCH, P.:
- Lehrer erforschen ihren Unterricht. Eine Einführung in die Methoden der Aktionsforschung. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhart 1990.
- FISCHER, R.:
- Evaluierung der Lehre als Organisationsaufgabe. ZSfHD 18. Jhg., Heft 3-4/1994, S. 303-310.
- GÖTZ, K.:
- Zur Evaluierung beruflicher Weiterbildung. Band 1: Theoretische Grundlagen; Band 2: Empirische Untersuchungen. Weinheim: Deutscher Studienverlag 1993.
- HOLTKAMP, R. / SCHNITZER, K. (Hrsg.):
- Evaluation des Lehrens und Lernens: Ansätze, Methoden, Instrumente; Evaluationspraxis in den USA, Großbritannien und den Niederlanden. Dokumentation der HIS-Tagung am 20. und 21. Februar 1992 im Wissenschaftszentrum Bonn-Bad Godesberg/HIS-GmbH 1992.
- LARCHER, D. (1993),
- "Zur Präzisierung des Evaluationsbegriffs". In: BAUR, S. (ed), "Corso di formazione: Culture in contatto. Un modello per la formazione degli insegnanti di lingua seconda/Lehrgang: Kulturen in Kontakt. Ein Modell für die Ausbildung von Zweitsprachlehrern". Bolzano/Bozen: Provincia Autonoma di Bolzano, Ufficio Provvidenze Comunitarie/Autonome Provinz Bozen, Amt für EG-Fördermaßnahmen, S. 81-86.
- LARCHER, D.:
- Die Qualität der SOS-Einrichtungen in den Staaten: Jordanien, Libanon, Syrien und Indonesien. Klagenfurt 1994. (Unveröffentlichtes Manuskript)
- LARCHER, D. / Rathmayr, B.:
- 'Zielbezogene' versus 'zielfreie' Evaluation von Curricula und Unterricht - am Beispiel eines sprachwissenschaftlichen Curriculums. In: FREY, K. u.a. (ed), "Curriculum-Handbuch", Bd. 2, München: Piper 1975, S. 688-700.
- STEPHAN, E. / SCHMIDT, W.:
- Messen und Beurteilen von Schülerleistungen. München, Wien, Baltimore: Urban und Schwarzenberg 1978.
- TERHART, E.:
- Interpretative Unterrichtsforschung. Stuttgart: Klett-Cotta 1978.
Anmerkungen:
- Dieses Syndrom geht auf einen Skatch von Karl VALENTIN zurück, in dem ein Buchbinder sich telefonisch mit seinem Auftraggeber in Verbindung setzt und von einer Stelle zur anderen weiterverbunden wird, ohne die für ihn wichtige Auskunft zu bekommen, wohin er sein fertig gestelltes Produkt liefern soll.

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