InhaltZusammenfassungbestellen
contentabstractorder


Homepage
ZSfHD
 ÖGHD Projekte
HD Ressourcen
Termine
ÖGHD
Suche
Hilfe



Zeitschrift für Hochschuldidaktik Nr. 1-2/1996:
Qualität der Hoschschullehre

Gerhard S. BAROLIN |

Die medizinische Lehre - ein österreichisches Notstandsgebiet!
Medical Teaching - A Distressed Area in Austria!

A Mängel-Begründungen

A1 Einleitung

Ist die Titelaussage dieses Artikels, über einen Notstand in der österreichischen medizinischen Lehre, nur eine böswillige Polemik, oder ist es wirklich so?

Leider ist es wirklich so!

Das im Titel stehende Kuratorium hat in vielfachen Enqueten und Publikationen nicht nur darauf hingewiesen sondern es auch klar bewiesen. Der Autor dieser Zeilen hat im Jahr l956 bereits seine erste wissenschaftliche Arbeit überhaupt unter das Thema gestellt: "Gedanken zum medizinischen Lehrplan". 80 % der damaligen Fehlanzeigen sind heute noch zutreffend, was keineswegs für eine prophetische Gabe des Autors, sondern für die Schwerfälligkeit unseres Systems spricht. l987 hat unser Kuratorium die in Abb. l wiedergegebenen Thesen herausgegeben. Auch diese sind heute noch voll aktuell und harren der Verwirklichung.

Es ist bekannt, daß die Ausbildungsqualität der österreichischen Mediziner beim internationalen Vergleich im letzten Drittel rangiert. Hier sei jedoch vorab gesagt: Das darf nicht dahingehend mißverstanden werden, daß bei uns alles schlecht ist. Unsere Ausbildung ist teilweise gut, teilweise sogar viel besser als anderswo. Nur gesamthaft läßt sie viel zu wünschen übrig (was folgend aufgezeigt wird). - Hier soll also keineswegs alles Ausländische hochgelobt und unseres verdammt werden, sondern unser Anliegen muß es sein, das Gute an der österreichischen Ausbildung zu erhalten und das Kontraproduktive zu verbessern.

Die folgenden Abschnitte zeigen die Hauptgründe für das Immer-negativer-Werden unserer Mediziner-Ausbildung (outcome quality im schönen Neudeutsch genannt) auf.

Abb. l zeigt auch, daß hier keine strenge Trennung getroffen wird zwischen

  1. akademisch-studentischer, also präpromotioneller Ausbildung,

  2. postpromotioneller Ausbildung zum Facharzt und zum Jus practicandi,

  3. akademischer Karriere ("bis zum Lehrstuhl"),

  4. Fort- und Weiterbildung.

Wir sehen vielmehr den ganzen hiemit umrissenen Komplex als untrennbares Kontinuum. - Natürlich wissen wir, daß diese Dimensionen gewisse wesentliche Differenzierungen aufweisen. Doch gehen wir hier auf die grundlegenden Gemeinsamkeiten ein, die unseres Erachtens sehr hochgradig und vielfältig sind. - Teilweise ist die bei uns vorliegende Kompetenzentrennung zwischen drei Ministerien (Gesundheit/ Wissenschaft/ Erziehung - denn auch die Art der Matura spielt hier schon mit hinein) durchaus kontraproduktiv und führt fallweise zum bekannten Kompetenzen-Ping-Pong, welches gerne als Ausrede verwendet wird.

Auch dazu ist wiederum zu sagen, daß es nicht unsere Aufgabe ist, über Grundstrukturen zu jammern, sondern aus den bestehenden Grundstrukturen und mit diesen das Bestmögliche zu erreichen, weshalb hier versucht wird, den (organisch zusammengehörigen) Fragenkomplex gesamthaft zu sehen.

THESEN ZUR MED. AUSBILDUNG UND FORTBILDUNG IN ÖSTERREICH

VOR ALLEM IST ANZUSTREBEN:

  1. HUMANITÄRE BILDUNG HAND IN HAND MIT FACHBILFDUNG
  2. HINFÜHRUNG ZUR SELBSTÄNDIGEN ARBEIT
  3. ÜBERSICHTSWISSEN VOR DETEILWISSEN

  1. VERBESSERUNG IST NÖTIG
  2. WISSENSCHAFTLICHE TÄTIGKEIT, AUSBILDUNG UND PATIENTEN-BETREUUNG SIND UNTRENNBAR, SOMIT GEMEINSAM ZU BERÜCKSICHTIGEN
  3. LEHR-KONTROLLE EBENSO WICHTIG WIE LERNKONTROLLE
  4. LERNKONTROLLE MUSS BEGLEITEND SEIN VOR (EVENTUELLEN) ENDPRÜFUNGEN
  5. LEHRSTOFF: KOORDINATION + STRAFFUNG VOR VERMEHRUNG
  6. ANERKENNUNG DURCH EIN "MERITEN-SYSTEM" FÜR LERNEN UND LEHREN
  7. ORGANISATORISCHE FÄHIGKEITEN + MENSCHLICHE QUALITÄTEN MÜSSEN IN DER QUALIFIKATION MITBERÜCKSICHTIGT WERDEN
  8. DER VOLLE AUSBILDUNGSGANG SOLL IN SEINER GESAMTHEIT BERÜCKSICHTIGT WERDEN (AHS STUD. POSTPROM. OA HABIL PRIMARIAT LEHRSTUHL)

ALS RICHTLINIEN BESCHLOSSEN VOM:
ÖSTERREICHISCHEN KURATORIUM FÜR ÄRZTLICHE AUSBILDUNG UND FORTBILDUNG, JULI 1988

Anmerkung: In unseren "Thesen" wird bewußt die präpromotionelle und postpromotionelle Aus- und Fortbildung gemeinsam behandelt, ebenso wie die akademische Karriere. Wir glauben, daß man nur so zielführend zu neuen Wegen kommen kann. - Dies wird auch in vorliegenden Zeilen mehrfach zum Ausdruck gebracht.

A2 Fehlende Motivation und Evaluation

Mit Unterrichten kann man bei uns nicht Karriere machen. Im Gegenteil: Wer unterrichtet ist eigentlich "der Dumme". Denn akademische Karriere macht man mit "papers", noch dazu unter Beiziehung des widersinnigen Impact-Factors.

Bekanntlich liegt dieser umso höher, je weniger verbreitet die Zeitschrift ist. Kürzlich hat HITZENBERGER wiederum auf die Irrelevanz des Impact-Factors auch für wissenschaftliche Bewertungen hingewiesen (wie auch ich schon mehrfach). Insbesondere muß aber gesagt werden, daß der Impact-Factor (natürlich) ausgesprochen fortbildungs- und ausbildungsfeindlich ist, weil ordentliche didaktisch fortbildnerische Arbeiten darin überhaupt nicht rangieren.

Welche Wege können aus dieser Sackgasse herausführen? Dazu einige unvollständige Hinweise.

  • Die deutsche Experimental-Universität Herdecke hat kürzlich eine Habilitationsnorm mit Schwerpunkt Didaktik verabschiedet.

  • Damit und allgemein Abschiednehmen vom Impact-Faktor.

  • Aufwertung der Lehre sollte durch systematische Evaluation und Berücksichtigung bei den Karriere-Beurteilungen erfolgen. - Auf die, nicht nur für die Motivation sondern aus vielen Gründen besonders wesentliche, Evaluation wird der Wichtigkeit halber noch in einem längeren Folgeabschnitt eingegangen.

A3 Fehlende Koordination

Ich konnte in meinem Buch "Unser Gesundheitssystem auf dem Prüfstand" (l99l) nachweisen, daß pro Semester an der Wiener Medizinischen Fakultät 500 Dozenten ihrer gesetzlichen Vorlesungspflicht nicht nachkommen (respektive nur auf dem Papier).

Jeder Insider weiß, wie das vor sich geht. Es werden die Alibi-Zetteln an die Tafel gehängt, und selbstverständlich melden sich für die Dutzende angekündigten skurillen Spezialvorlesungen keine Studenten. Überdies müßte man wahrscheinlich 300 Jahre Medizin studieren, um nur die Hälfte der so angekündigten Vorlesungen zu hören. Sie überschneiden sich weitgehend, sind für die allgemeine Ausbildung des Studenten ohne jede Relevanz.

Ich hätte eigentlich gedacht, daß nach meiner Erstpublikation darüber ein Aufschrei durch Öffentlichkeit und medizinisches Establishment gehen würde. Es ist aber nichts dergleichen passiert, alles läuft weiter so.

Wege aus dem Dilemma:

Es ist meines Erachtens die Aufgabe des Ordinarius, die Koordination der Lehre zu organisieren. Es gibt durchaus Lehrmodelle (etwa Psychiatrische Univ.-Klinik Basel), wo vor Semesterbeginn der Ordinarius seine Mitarbeiter zusammenruft, man die einzelnen Lehrgebiete schwerpunktmäßig aufteilt und anstelle einer sterilen Berieselungs-Hauptvorlesung des Ordinarius die einzelnen Spezialisten ihre Gebiete lesen läßt, aber koordiniert und auf einen Gesamtkonzept zugeschnitten.

Dazu gehört etwa auch, daß sich der koordinierende Ordinarius fallweise in eine Vorlesung hinein setzt und ev. mitredet, etc., etc. Wir könnten so einen weltvorbildlichen effektiven Kleingrupenunterricht mit unserem Dozentenpotential gestalten. Stattdessen wird dieses jedoch vergeudet und gleichzeitig lauthals um noch mehr Geld für die Lehre gerufen. - Siehe dazu auch Folgeabschnitt über Kompakt-Lehrversuch, der in kleinem Rahmen das gleiche Prinzip mit gutem Erfolg durchgeführt hat.

A4 Fehlende Integration

Die Zusammenhänge mit den anderen Gebieten werden kaum oder gar nicht gepflegt, auch kaum Übereinstimmungen mit den Vortragenden anderer Fächer, so daß manches mehrfach gebracht wird, manches gar nicht. Dadurch fehlt vor allem Überblickschulung.

Weg aus dem Dilemma:

Neuerlich scheint es Aufgabe eines Ordinarius, für derartige Koordinationen in der Integration zu sorgen. Auch das gibt es anderswo.

A5 Fehlende Organisation und fehlende Weiterentwicklung

Die Lehre läuft bei uns nach dem Prinzip einer Elite-Universität der Jahrhundertwende, jedoch unter den Zwängen einer Massen-Universität der heutigen Zeit. Pädagogische und lerntheoretische Erkenntnisse haben kaum Einzug gehalten, moderne Weiterentwicklung erfolgt kaum.

Als Mitglied einer Arbeitsgruppe im Österreichischen Wissenschaftsministerium zur Studienreformkommission vor einigen Jahren weiß ich, daß dort überwiegend standespolitische Interesse und Profilierungstendenzen zu Worte kamen. ("Was hören meine Studentenwähler am liebsten?" "Was hören meine Mittelbauwähler am liebsten?" Was hört die Kurie am liebsten?" "Womit kann ich den Standesorganisationen der Pflege- und medizinischen Assistenzberufe die meiste Freude machen?")

Die Reform hat sich damit völlig totgelaufen, liegt derzeit, nach vielen Stunden Beratungen, in der Tischlade.

Damit wird ewa auch ein ursprünglich im Gespräch befindliches 12-monatiges Einstiegspraktikum mit Evaluations- und Selektionsmöglichkeiten zuerst auf sechs Wochen krankgeschrumpft, dann (dies ausnahmsweise sinnvollerweise, denn ein derartiges Praktikum wäre nur ein "Wasch mir den Buckel und mach mich nicht naß!") völlig fallen gelassen.

Vor allem hat sich bei der Kommissionsarbeit leider neuerlich gezeigt, daß kaum ein Verantwortlicher bereit ist, einzusehen, daß er seinen Lehrstoff drastisch einschränken muß, wenn die neuen Entwicklungsfächer und Entwicklungstendenzen auf der anderen Seite dazukommen sollen. Zu hören war jedoch überall: "Einschränkung und Reduktion sehr wohl, aber in meinem Fach brauche ich natürlich mehr Stunden!"

Weg aus dem Dilemma:

Hier müssen klare Stundenvorgaben über die Machbarkeit und Sinnhaftigkeit eines Medizinstudiums gegeben sein, und es müssen eben dann die Fächer in das entsprechende "Stundenbudget" eingeordnet werden. So wie es jetzt geht, haben wir teilweise spezialistisch hervorragend ausgebildete Mediziner (ich denke etwa an manche Lehrkanzeln für Pathologie, Anatomie, Chemie). Derartige (praktisch überflüssige) Superausbildung geht aber auf Kosten von fehlender Überblicksbildung, fehlender Praxis.

Ob es letztlich nur so gehen kann, wie in Bosnien unter CLINTON, wo nur die massive Militärdrohung dazu geführt hat, unvernünftige partikularistische Interessen letztlich doch zu einem Konsens zu zwingen, möge dahingestellt sein. Eigentlich sollte man hoffen, daß es bei gereiften akademischen Verantwortlichen nicht so sein müßte. Letztlich wäre aber eine entsprechende ministerielle Budget-Vorgabe (siehe oben) ein denkbarer Weg. Nur leider denken Minister bei uns vielfach nur in einer (maximal 4-jährigen) Wahlperiodik und weniger im Sinne einer konstruktiven Dauer-Weiterentwicklung. - Harte Konfrontationen werden daher als unpopulär und möglicherweise wählerabträglich gescheut. Wo sie doch einmal kommen, werden sie in bewußt mißbrauchter Demokratie sofort in wählertaktischer Weise unsachgerecht öffentlich ausgeschlachtet (siehe Vorgesagtes zur Studienreform-Kommission).

Das soll nicht dahingehend mißverstanden werden, daß ich hier eine allgemeine Politiker- und Ordinarien-Beschimpfung plane. Es gibt bei uns auch hervorragende verantwortungsbewußte Politiker hervorragende akademische Lehrer und Funktionäre. Nur leider wird vieles von den angeführten sogenannten "Sachzwängen" majorisiert, dazu kommen (wie schon gesagt) massive standespolitische und Profilierungsinteressen, welche keineswegs sachbezogen sind.

Gibt es also gar keine Möglichkeiten? Ist alles nur pessimistisch-resignativ zu sehen?

Ich glaube nicht. Sonst würde ich auch nicht diesen Artikel neuerlich schreiben.

  • Es geht um ständig wiederholte Meinungsbildung.

  • Es wäre aber auch etwa an das holländische Modell zu denken, welches ein völlig isoliertes, außerhalb jeder Hierarchie stehendes, Institut für Qualitätssicherung geschaffen hat.

  • Vielleicht ist auch die notwendige Anpassung an EU-Normen ein zusätzlicher fruchtbarer Stimulus, hier weiter positiv zu wirken.

  • Schließlich weise ich auf meine folgenden Abschnitte hin, den einen (B) über Evaluation in der Lehre, den anderen (C) über Kompakt-Lehrversuch mit integriertem Rigorosum, welche Wegweisungen und auch praktische Erfahrungen wiedergeben.

B Qualitätshebung durch Evaluation der Lehre

B1 Zum Begriff

Evaluation soll auswerten, bewerten, die Qualität (nach Möglichkeit auch numerisch) erfassen. Der Begriff der Evaluation überschneidet sich mit den folgenden Begriffen folgendermaßen.

  • Qualitätssicherung hat systematische Evaluation zur Vorbedingung, soll jedoch dann gewisse Konsequenzen daraus in die Tat umsetzen.

  • Kontrolle bedarf der Evaluation, ist aber mehr als diese im Sinne einer Machtausübung.

  • Wissenschaft sollte ohne Evaluation sich nicht als solche bezeichnen dürfen, sicherlich nicht gefördert werden. De facto ist das jedoch vielfach anders.

Hier mag erwähnt werden, daß alle amerikanischen Universitäten in Drei-bis-fünf-Jahresabständen ihre Evaluations-Ergebnisse offenlegen müssen, um weitere Lehrbefugnis zu erhalten. Dereartige Verpflichtung zur Offenlegung der Lehrqualität ist etwas in unserem System völlig Unbekanntes. Es herrscht vielmehr bei uns eine mißverstandene Lehr- und Lernfreiheit, dahingehend, daß man

  • entweder nicht lehren muß

  • ruhig auch schlecht lehren kann

  • man ja so frei ist, daß es niemanden etwas angeht, wie man die Lehre auffaßt.
Daß wir im Rahmen der Lehrfreiheit wesentliche positive Möglichkeiten sehen, wird im Abschnitt C dieses Artikels noch dargelegt werden. Wir sind also keineswegs für eine Aufgabe der Lehr- und Lernfreiheit zugunsten einer Schulung, plädieren hingegen für eine Ein- und Unterordnung im Sinne einer übergreifenden Gesamtkonzeption.

B2 Qualitätsverbesserung über Evaluation

Betriebswirtschaftlich wird heute Qualität in drei Teilbereiche zerlegt, nämlich
  • die Struktur-Qualität (d.h. was ist vorhanden, damit eine ordentliche Qualität überhaupt möglich ist)

  • die Prozeß-Qualität (d.h. wie wird vorgegangen, damit die Qualität verbessert wird)

  • die Ergebnis-Qualität (wie kann man an dem, was herauskommt, feststellen, ob die Qualität besser geworden ist).

Im Folgenden werde ich bei den meinerseits angeführten Maßnahmen jeweils auf diese drei Dimensionen der Qualität hinweisen, jedoch vor allem auch eine vierte Dimension dazunehmen, nämlich nennen wir es "Verbesserungspotential". Es gibt eine ganze Reihe von Evaluations-Maßnahmen, welche keineswegs nur auswerten, sondern gleichzeitig (quasi "automatisch") eine Verbesserung auf verschiedenen Ebenen mitbedingen. Ich glaube daß (natürlich) gerade diese Maßnahmen und die dadurch gegebene Verbesserungs-Möglichkeit unsere besondere Beachtung verdienen.

Daneben gilt es, die Evaluationsergebnisse in systematische Reformierungen einzubauen. Diese können keineswegs einmalig erfolgen, sondern müssen zum ständigen Instrumentar eines fortschrittlichen akademischen Ausbildungsbetriebes gehören.

Jede einmalige "Studienreform" hat das Schicksal, dann bereits veraltet zu sein, wenn sie zum Tragen kommt. Insofern mag es vielleicht gar nicht so traurig sein, daß die letzte Studienreform in der Schublade liegen geblieben ist. Was wir brauchen, sind nicht einmalige Reformen, sondern lebendige Weiterentwicklungs-Institutionen für das Studium. Diese müßten sich

  • auf eine systematische Evaluation stützen
  • jedoch auch entsprechende Auswirkungsmöglichkeiten haben, um nicht an Starrheit und Eigensinn der akademischen Institutionen zu scheitern.

Die Abb. 2 gibt tabellarisch die hier angeführten Evaluationsmaßnahmen wieder, unter Anzeichnung, in welcher der angeführten Dimensionen sie vor allem wirksam werden.

Abb. 2:

Evaluationsmittel

PVKl.Rückfließende Bewertungsbogen der Ausbildungskandidaten (Vorlesungshörer)
SPEV...K2.Periodischer Berichtsbogen des Abteilungsleiters
SPEV...K3. Rasterzeugnisse / Ausbildungspässe
4.Kommissionen vor Ort
SVa) betreffend Ausrüstungsstandard
PEVb) betreffend Aktivitätsstandard
E5.Prüfungen (wenn, dann nur kommissionell / mehr zwecks Vergleich der Ausbildungsqualität als zwecks Prüfung" des Kandidaten)
(P)V6."Teachers Training"

Wirksam für:
S = Struktur-Qualität
P = Prozeß-Qualität
E = Ergebnis-Qualität
V = Verbesserungs-Potential für Prozeß- und Ergebnis-Qualität
K = Potential für Kommunikation zwischen Ausbildner und Kandidat

Anmerkung zu Abb. 2: In Österreich fehlt die Evaluation der Lehre so gut wie vollständig (im Gegensatz zu einer Reihe von anderen Ländern, USA ebenso wie Holland, etc.). Besonders zu betonen ist, daß schon durch die Existenz der Evaluation jeweils beträchtliche Qualitätsverbesserungen zu erwarten sind, nicht erst über Kontrolle und Anordnung! ("V" in unserer Abbildung), weiters,- daß fortschrittliche Evaluationsinstrumente auch kommunikationsverbessernd sein können.

B3 Rückfließende Bewertungsbögen über die Lehrqulität

Diese sind häufigst angewandte Methodik für Evaluation, sollten aber nicht überwertet werden, sind als alleiniger Wertmaßstab durchaus unzulässig. Warum?
  • Der Rückfluß ist limitiert und bedingt bereits eine gewisse Auslese. Allerdings kann man das verbessern, indem man für die Abtestur die Rücklieferung eines Bogens obligat macht.

  • Vor allem spielen aber persönliche Fragen der Sympathie und Antipathie eine große Rolle. Auch kann ein guter Vortragsstil "blenden", etc.

  • Derartige Bewertungsbögen können bekanntlich in unterschiedlicher Art erfolgen, als einfache Bewertungsbögen für Einzelvorlesungen oder Veranstaltungen, könnten aber auch parallel zu den Rasterzeugnissen von den Ausbildungs-Kandidaten ausgefüllt werden, wobei dann der Abteilungsleiter den Bogen ebenso gegenzuzeichnen hätte, wie der Ausbildungs-Kandidat sein Rasterzeugnis. (Dient dann also gleichzeitig der Kommunikationsverbesserung, die ja in unserem Massen-Lehrsystem sowieso im argen liegt).

Besonders brauchbar können solche Bogen dann werden, wenn man sie mit dem im nächsten Abschnitt beschriebenen vergleicht, im Sinne einer Selbstbild-Fremdbild-Analyse über eine Vortrags- respektive Ausbildungsqualität.

B4 Berichtsbogen der Abteilungs(Ausbildungs-)leiter

Wenn man den Abteilungsleiter dazu verpflichtet, in periodischen Abständen über seine eigene Unterrichts-, Fortbildungs- und Ausbildungstätigkeit Bericht zu geben, so wird damit keineswegs nur ein Kontrolleffekt, sondern auch ein Erinnerungs- und Motivationseffekt entstehen. Allerdings muß dazu bereits eine entsprechende Stelle geschaffen werden, wo die Bogen hingehen, und ev. mit den Evaluationsbogen der Ausbildungskandidaten verglichen werden. Im Einleitungs-Abschnitt konnte ich diesbzgl. schon auf den Wert einer außerhalb der Hierarchie stehenden Qualitätssicherungsinstitution hinweisen, welche dafür wesentlich wäre.

Allerdings hat sich gezeigt, daß die Auswertung der diversen Bögen - sowohl der Ausbildner als auch der Kandidaten - keineswegs das alleinig Wesentliche ist, sondern daß bereits die Existenz derartiger Bögen in der Regel massiv qualitätsverbessernd wirkt. Denn vieles "Schlechte" in der Fortbildung und Ausbildung erfolgt ja keineswegs aus bösem Willen, vielmehr aus Zeitdruck mit Überlastung, aber auch aus Fehleinschätzung der Leistungen und der Akzeptanz des anderen. Es wäre also auch in derartigen Bögen eine zusätzliche echte Kommunikationsverbesserung gegeben. Gleiches gilt für die im nächsten Abschnitt noch besprochenen Rasterzeugnisse und Ausbildungspässe. - Über all das ausführlich in der endständig angeführten Literatur.

B5 Rasterzeugnisse/Ausbildungspässe

Rasterzeugnisse, also periodisch auszustellende Berichte über Ausbildungskandidaten sind dzt. bereits in Österreich gesetzlich vorgeschrieben. Die Gestaltung liegt noch bei der Ärztekammer, und es ist zu hoffen, daß man nicht wieder in alt ausgetretenen Pfaden wandelt, wo nur numerisch Stunden und Leistungen aufgezählt werden, und keinerlei Bezug genommen wird auf Verantwortungsfreudigkeit, organisatorische Leistungen, Teamfähigkeit, etc.

Im Eigenbereich unseres Kuratoriums erfolgt gleichzeitig ein entsprechender (neuerlicher) Vorschlag an die Ärztekammer. Es wäre wichtig, daß auch die Ausbildungs-Kandidaten mit uns in die gleiche Kerbe hauen.

  • Kein alibimäßiges Verlangen des Inhaltsverzeichnisses eines Handbuches (wie es bei verschiedenen Konzepten verschiedener Fachgruppen bereits schon zu sehen ist)

  • Keine Angst vor einer auch menschlich-kommunikativen Bewertung.

Natürlich muß auch dazu eine Kommission da sein, es müssen auch Berufungsmöglichkeiten gegeben sein. Die wesentliche Qualitätgsverbesserung kann vor allem durch das periodische kommunikative Gespräch zwischen Ausbildungsleiter und Ausbildungs-Kandidaten entstehen, denn es muß ja von beiden das Rasterzeugnis gegengezeichnet werden, und es muß auch die Bewertung entsprechend begründet werden.

Das gleiche mutatis mutandis würde für die Ausbildungs- und Fortbildungspässe gelten, die (noch) nicht gesetzlich fixiert, jedoch in Diskussion, sind, wo es allerdings etwas andere Kriterien der Qualitätssicherung aufzugreifen gilt.

B6 Kommunikation zwischen Ausbildner und Kandidaten

Durch die "Massen-Universität" ist jene wichtige Zusatzdimension heute weitgehend verloren gegangen, welche ja schließlich die alte "univeristas magistrorum diszipulorumque" vor allem gekennzeichnet hat. Die persönliche Vorbildwirkung, das persönliche Gespräch zwischen Ausbildungsleiter und Ausbildungskandidaten hat eine Reihe von Wirkungen

  • lebendigere und bessere Einprägung des Wissensstoffes

  • das Lernen am Vorbild an sich

  • Verminderung der allgemeinen anonymen Frustration, welche vielfach das Studium nur mehr als notwendige Qual sieht, zugunsten einer besseren Sinnerfüllung.
    Der Lerndruck und die Notwendigkeit der Arbeit wird hierdurch keineswegs weniger, aber sinnerfüllter.

  • Last not least sollte man nicht vergessen, daß auch wir Lehrende durch die ständige Kommunikation mit einer jungen aufstrebenden Generation die Möglichkeit haben, durchaus ständig weiter zu lernen und den Kontakt mit der jungen Generation nicht zu verlieren.

Als Mittel dazu konnten schon die vorgenannten schriftlichen Bögen definiert werden, welche durch Gegenzeichnung zu periodischen Kommunikationen zwingen.

Absolute Voraussetzung dafür ist aber ein ordentlicher koordinierter Kleingruppen-Unterricht. Wir konnten im Vorigen schon zeigen, daß das bei unseren vielfachen nicht-lehrenden Dozenten durchaus möglich wäre und haben im Folgeabschnitt auch gezeigt, daß es im Bereich einer Lehrabteilung auch durchaus praktisch und produktiv durchführbar ist.

B7 Kommissionen vor Ort

Das holländische Qualitätssicherungsmodell entsendet Gesprächskommissionen, die vor Ort einerseits mit dem Ausbildungsleiter, anderseits mit dem Ausbildungskandidaten Gespräche führen. Die Kommission hat primär und vor allem die Aufgabe, durch Koordination verbessernd zu wirken. Es können aber auch Auflagen erlassen werden, die sich einerseits auf den Ausrüstungsstand beziehen , anderseits auf den Aktvitätsstandard.

B8 Prüfungen

Diese sind das gängigste Qualitätssicherungs-Instrument in unserem System, und werden jetzt auch vielfach im Sinne einer "Facharzt-Prüfung" als der Weisheit letzter Schluß angepriesen. Es ist jedoch längst bewiesen, daß endständige Prüfungen keinerlei Qualitäts-verbessernde Wirkung haben. Wie sollen sie das auch? Nur eine periodische Begleitung kann Qualitäts-verbessernd wirken. Wenn man sich also zu endständigen (Facharzt-) Prüfungen entschließt, sollten diese folgende Kriterien aufweisen:

  • Kommissionell in einem sehr großen Rahmen mit überwiegendem Gewicht auf Überblickswissen, nicht auf irgendwelche Details.

  • Nur im Zusammenhang mit und im Anschluß an laufende begleitende Evaluationen.

Nur so könnten derartige Prüfungen einen gewissen Hinweis auf die Ergebnis-Qualität und dadurch auch gewisse Vergleichbarkeit der Ausbildungsstätten bringen. Jedenfalls sehen wir die Prüfungen als das schwächste Mittel zur Evaluation und Qualitätssicherung an.

Denn es sollte ja auch nicht die mögliche Individualität gewisser Ausbildungsstätten durch ein zu großes Standardisieren gebremst werden. Natürlich soll ein gewisses Grundwissen für alle Ausbildungs-Kandidaten forderbar sein, aber (wie immer) liegt der Teufel im Detail, nämlich es ist dzt. noch nirgends gelungen, einen tatsächlich bindenden Lehrziel-Katalog aufzustellen, der für alle passend ist (siehe oben alibimäßiges Inhaltsverzeichnis eines Handbuches).

B9 "Teachers training"

Hier muß tatsächlich der neu-deutsche Ausdruck verwendet werden, weil Derartiges bei uns in keiner Weise üblich ist und daher auch kein deutsches Wort dafür vorhanden. Wir glauben, daß Menschen, die die wichtige verantwortungsvolle Aufgabe der Lehre übernommen haben, durchaus verpflichtet werden könnten und auch sollten, sich derartig laufend weiterzubilden. Das hat für alle Lehrberufe Gültigkeit und sollte für die Lehre auf höchster Stufe, also die akademische Lehre, sicherlich besonders gelten. Afugaben derartiger Seminarien kann man mehrfach sehen:

  1. Selbstrefelxion und Meinungsaustausch
    Das überschneidet sich weitgehend mit dem Begriff der "psychodynamischen Supervision", die ja heute für Berufe mit besonderer Belastung gängig ist. Gerade wir Lehr- und Führungskräfte haben praktisch keine Möglichkeit, uns über unsere eigenen Probleme mit Ausbildungs-Kandidaten, Mitarbeitern, etc. auszusprechen (außer solchen von uns, welche sich nicht gescheut haben, auf privater Basis sich eine Supervision zu suchen).

  2. Pädagogisches Grundwissen und pädagogische Forschung
    Die Vermittlung von pädagogischem Grundwissen und pädagogischer Forschung sollte dort laufend weitergehen. Denn wir alle sind ja in die akademische Lehre gekommen, ohne irgend etwas darüber je zu hören, und haben es intuitiv ein bißchen besser oder ein bißchen schlechter gelernt. Sicherlich könnte die pädagogische Wissenschaft hier dazu etwas beitragen.
    Das soll keineswegs mit einer Überwertung pädagogischer Wissensvermittlung verwechselt werden. Denn nicht von ungefähr sind gerade manche Vorlesungen über "Pädagogik" von beträchtlicher Langeweile und Verstaubtheit gekennzeichnet (wie wir von Studenten haben erfahren können). - Das sollte aber auch wiederum nicht dazu führen, daß man pädagogische Lehre und Wissenschaft ganz ablehnt. Es sind eben überall nur Menschen am Werk. Ein neues Evangelium hat keiner anzubieten, aber durch Meinungspluralität und Aufgeschlossenheit ist sicher mehr zu erreichen, als jetzt gegeben ist.

  3. Qualitätssicherung im Sinne der Verbesserung
    Wichtig festzustellen, daß ein derartiges teachers training nicht primär der Evaluation der einzelnen Lehrpersönlichkeiten (also Kontrolle und Bewertung) zu dienen hat, sondern primär der Qualitätssicherung im Sinne der Verbesserung. Allerdings kann generell sicherlich auch ein gewisser Eindruck vom allgemeinen Lehrniveau dabei sich einstellen.

B10 Praktische Durchführung?

Siehe dazu meinen Einleitungs-Abschnitt. Man muß eben immer wieder darüber reden und versuchen, sowohl Politiker-Gremien, aber auch uns selbst, diesbezügl. zu motivieren.

Es ist zu hoffen, daß vorliegende Zeilen einen Schritt auf dem Wegedarstellen, und weitere Schritte über die hier federführende Gesellschaft für Hochschuldidaktik erfolgen.

C Kompaktlehrversuch im Fach Neurologie mit integriertem Rigorosum

Hier wollen wir zeigen, daß man keineswegs immer auf Strukturreformen von oben warten muß, sondern in Eigenregie sehr viel tun kann.

C1 Projektbeschreibung

Über mehrere Jahre ist an der von mir geleiteten Neurologischen Abteilung in Zusammenarbeit mit dem im Titel stehenden Ludwig Boltzmann-Institut ein kompaktes Famulatur-Programm gelaufen. Es ist an den Erfahrungen gewachsen und hat letztlich so ausgesehen, daß jeweils eine Gruppe von fünf bis sieben Studenten fünf Wochen famuliert und ein komplexes Ausbildungsprogramm für Neurologie bekommen hat. Vorsatz ist dabei gewesen,
  1. die allgemein wichtigen Fragen der Neurologie den jungen Leuten plastisch und einprägsam näher zu bringen, ohne auf "Itipferlreiterei und Prüfungsschmähs" einzugehen.

  2. Die im übrigen Neurologie-Unterricht häufig weitgehend vernachlässigten Gebiete, welche spezielle Schwerpunkte unserer Abteilung bilden, wurden mitunterrichtet.

    In den noch besprochenen Repetitorien werden diese Inhalte laufend im Sinne einer seminaristischen Evaluation abgeprüft. Für diejenigen Studenten, welche hier das Rigorosum machen, stellen sie dann auch Rigorosen-Prüfungsstoff dar.

    • Neuro-Rehabilitation/Alters-Rehabilitation

    • Schmerz-Rehabilitation

    • integrierte Psychotherapie in Neurologie und Neuro-Rehabilitation

    • integrativer Einsatz der Physiotherapie

    • rechtlich ethische Fragestellungen

    • insbes. gepflegt wird aber de kommunikative und humane Kontakt, der Zugang zu Patienten, auch Mitarbeitern, etc., als Gesprächsschulung systematisiert

    • eigene Entscheidungsfindung, Referiertätigkeit,

    • etc.

    Durch die Möglihckeit der Prüferwahl in der dzt. Studienordnung wird es von mir so gehandhabt, daß nur Studenten, welche an diesem Programm teilnahmen, auch von mir als Prüfungs-Kandidaten angenommen wurden.

  3. Abschluß mit dem Fach-Rigorosum in neuer Art, nämlich einerseits mit besserer Wissens- und Überblickskontrolle, anderseits unter weniger Stress und Frust.

Es darf ergänzt werden, daß ich es als einen erfreulichen Ausfluß der Lehrfreiheit ansehe, daß man auch mehr machen darf als andere, und sich auch etwas Innovatives einfallen lassen darf. Es wurde schon erwähnt, daß derartige Möglichkeiten der österreichischen Studienordnung keineswegs im Sinne einer totalen Verschulung und Reglementierung fallen gelassen werden sollten.

Die Angelegenheit sprach sich an der Universität erfreulicherweise rasch herum, wir wurden bald mit Anfragen überschwemmt, mußten im letzten Semester l5 Studenten absagen, und seitdem der Lehrversuch nicht mehr lauft, kommen noch laufend Anrufe von Interessenten.

Insgesamt sind inzwischen etwa zehn derartige fünf-wöchige Turnusse mit fünf bis sieben Studenten bei uns gelaufen.

C3 Vergleich des Projekts mit dem bisher Gegebenen

Was ist nun das Besondere daran, das sich von sonstigen Famulaturen, etc. unterscheidet?
C3.1 Die spezielle Thematik, die anderweitig unterbelichtet ist, wurde schon in Obigem dargelegt.
C3.2 Gleichzeitig mit der famulaturmäßigen ständigen Mitnahme der Studenten zur praktischen Medizin und zum "bedside teaching" wird folgendes gemacht.
  1. Spezielle Lehr-Visiten, wo anhand einzelner Fälle ausführlich diskutiert wird, worum es geht, gleichzeitig auf die entsprechenden Literaturstellen hingewiesen wird, die in der Bibliothek zugänglich sind. Die Studenten müssen diese Literatur dann studieren und weiter mit uns darüber sprechen.

  2. Es ist der gesamte Stoff der Neurologie in eine Reihe von Kompaktwissens-, respektive Unterrichts-Blöcke geteilt, und es wird von einem Mitarbeiter die Koordination dahingehend übernommen, daß die Studenten jeweils von unseren Assistenz-Ärzten in den Kompaktblöcken, an Nachmittagen und Abenden (meistens in den Nachtdiensten der betreffenden Kollegen) unterrichtet werden.

  3. Dieser Unterricht findet jedoch nicht in der üblichen Frontalberieselung statt (welche erwiesenermaßen nur etwa 20 % Gedächtnisspur hinterläßt).Vielmehr erhalten die Studenten genaue Angaben über Teile von Buchkapteln, resp. über Sonderdurcke, welche ihnen aus der Bibliothek zugänglich gemacht werden. Sie haben dann die einzelnen Kapitel selbst vorzubereiten, und der Unterricht findet in der Form von "Repetitorien" statt.
    Die Gruppe der Studenten wird etwa 2 Stunden lang zu den Inhalten in Art einer Prüfung ausgefragt, wobei ausdrücklich gesagt wird, sie müssen ja noch nicht alles wissen, und sie sollen vor allem auch sagen, wo sie sich nicht auskennen. Überdies soll dort, wo einer nicht weiterkann, der andere miteinspringen. Es kommt dadurch zu seminaristischen Gruppengesprächen. Der Repetitor hat dann die Aufgabe, speziell dort, wo sich Lücken oder Mißverständnis zeigen, nachzudoppeln, gute Übersichten und Erklärungen zu geben, das Ganze kompakt und übersichtlich neuerlich mit den jungen Leuten zusammenzufassen.

  4. Es werden Bücher verteilt, welche die Studenten rezensieren müssen und auch in einem Kurzvortrag von drei bis fünf Minuten vor unserer gesamten Krankenhausmannschaft referieren. Es erfolgt daran eine sachliche und rhetorische Diskussion, wie überhaupt auf die gute Rhetorik und die Sprechschulung bei den Studenten zusätzlich Gewicht gelegt wird.

  5. Es wird darauf geachtet, daß ständig Mitschriften geführt werden, und zwar nicht als systematisches Heft, sondern alphabetisch geordnet, je nach den Krankheitsbildern und nach den einzelnen Themen, so daß jeweils wieder etwas entsprechend ergänzt werden kann. Auch das hat das Ziel, dem "Berieselungseffekt" entgegenzuarbeiten.
C3.3 Zweistündige Repetitorien
Ich selbst als künftiger Prüfer und Ausbildungsleiter mache während des fünfwöchigen Blocks selbst etwa fünf bis sieben derartige zweistündige Repetitorien mit den Studenten durch, wobei ich meist übergreifend mehrere Gebiete behandle, so daß damit die Gebiete bereits zum drittenmal lehrmäßig und lernmäßig "wiedergekaut" werden. - Überdies lerne ich damit sowohl die Studenten mit ihrem Wissen genau kennen, wie aber auch die Fortbildungsqualität, welche durch meine Assistenten vermittelt wurde, somit kontinuierliche Evaluation von Lernen und Lehren ohne Prüfungsstress.
C3.4 Gruppenbildung
Durch die Internats-Atmosphäre wird das Gruppen-Lernen gefördert. Es wird das besonders betont, insofern, als wir auch gruppenweise prüfen, so daß von vornherein wir eine Gruppenbildung anregen. Es ist bekannt, daß solchermaßen Einprägsamkeit und das Haften des Gedächtnisstoffes deutlich besser ist als im Einzel-"Strebern", schon gar aus sterilen Skripten. Dabei wird von vornherein klargestellt:
C3.5 Betrieb nach unserem Zeitplan
Der Betrieb geht ohne Zeitbegrenzung, die jungen Leute müssen sich nach unserem Zeitplan richten. Die Fortbildungsaktivitäten laufen fallweise in den Abendstunden, vor allem aber auch zu den Wochenenden. Wir verlangen, daß jeder der Studenten zumindest 2 komplette Wochenend-Dienste mitmacht, da erfahrungsgemäß dabei häufig Notfälle und rasche Entscheidungen anfallen, welche ein Arzut treffen muß, (etwas, das im Routinebetrieb sonst untergeht).
C3.6 Wiederholung für zeitweise Abwesende
Gewisse Abwesenheiten werden gerne toleriert (Familienfest, o.ä.), es wird auch das wieder im Sinne des Gruppenlernens umfunktioniert, so daß die Verbleibenden den Auftrag bekommen, den Abwesenden alles genau mitzuteilen, und es wird dann speziell bei den nächsten Repetitorien bei den Abwesenden abgefragt, ob sie es nachvermittelt bekommen haben. Dadurch zwei weitere Vorteile
  • neuerliches Wiederkäuen des Stoffes

  • Förderung des Gruppenlernens.
C3.7 Praktische Stationsverrichtungen
Daneben werden natürlich auch die einfachen praktischen Stationsverrichtungen mit den Studenten geübt. Sie müssen Anamnsen, Decurse, Status, etc. erstellen, sie selbst schreiben. Diese werden korrigiert und mit ihnen besprochen. Sie lernen die praktischen üblichen Dinge im Sinne des Injizierens, etc., werden aber auch direkt angehalten, sich bei der Logopädie, bei der Ergotherapie, bei der Pflege mitzuverwenden, um diese Dinge ordentlich kennenzulernen. Gleiches gilt für die Physiotherapie.
C3.8 Einbindung in wissenschaftliche Projekte
Daneben werden sie in wissenschaftliche Projekte eingebunden und zur Mitarbeit herangezogen. Dabei wird ausdrücklich Wert darauf gelegt, daß die Studenten wissen, worum es geht und die Sinnhaftigkeit der Angelgenheit erkennen. Es wird also kein sinnloses Computereintippen im Sinne von Sklavenarbeit verlangt, sondern die Studenten werden animiert, sich auch geistig an den Projekten zu beteiligen. Natürlich werden dabei auch die einfachen Routinearbeiten im Gegenzug zu unserem Angebot mitverlangt (Computereingaben, Krankengeschichten-Ordnen, Adressieren, etc., etc.).
C3.9 Soziale Aktivitäten

In jedem der Kompakt-Seminare sind auch gemeinsame gesellschaftliche Unternehmen integriert, (von gemeinsamem Skilauf über Wandertag bis gemeinsamem Schwimmen, Musizieren und gemeinsamer Mahlzeiten-Einnahme). Diese Zeiten werden möglichst weitgehend nebenbei ausgenützt, um eine informelle Wissensvermittlung und Wissenskontrolle zu machen. So kann man sich etwa sehr wohl bei einer Wanderrast auf einer Bergwiese über die Möglichkeiten des Schädel-Hirn-Traumas unterhalten u.ä.

Betont sei, daß das ja auch keine Eigenerfindungen sind, sondern die längst in der Werbebranche bekannten Methoden: Zusätzliche Lustbetonung kann wesentlich besser Gedächtnisspuren setzen als die Vermittlung unter Angst oder ausschließlich unter einem schematischen Lernschema. - Daß nebenbei damit die alte "universitas magistrorum discipulorumque" (wovon ja der Name "Universität" kommt) wieder auflebt, darf am Rande erwähnt werden.

C4 Die Abschlußprüfung

Am letzten Tag des Aufenthaltes findet dann das Rigorosum für die dazu angemeldeten Studenten statt, bei welchem die Hauptmitausbildenden Assistenten anwesend sind, so daß auch sie merken können, wie ihre Ausbildung angekommen ist. Die Prüfung ist öffentlich. Es können auch die anderen Ärzte und Studenten zuhören. Folgende Vorinformation wird gegeben.
  • Da wir die Studenten nun fünf Wochen kennen und fast täglich geprüft haben, wissen wir bereits, daß keiner durchfallen wird, weil sie eine Menge können. Von der Art ihrer Selbst-Präsentation wird es nun abhängen, welche der Positivnoten von eins bis drei sie etwa bekommen können.

  • Jeder soll sich ein Spezialthema vorbereiten, bei dem er etwas mehr weiß als den obligaten Prüfungsstoff, sich ein bißchen etwas angelesen hat und etwas mehr erzählen kann.

  • Die Haupt-Ausbildungsassistenten sind bei der Prüfung dabei und werden selbst auch Prüfungsfragen stellen.

Es wird dadurch der Prüfungsstress minimiert, und es wird gleichzeitig hier neuerlich klargestellt, daß sehr wohl die kontinuierlichen begleitenden ständigen Prüfungen natürlich einen viel besseren Wissensüberblick ergeben als ein paar Fragen am Ende.

Um das Mißverständnis zu vermeiden, daß hier etwa Prüfungsresultate verschenkt werden, sei auch klargestellt, daß ausdrücklich Können und Leistung verlangt werden. Zweimal habe ich Studenten, welche sich anfangs wenig eifrig zeigten, anheim gestellt, entweder mehr zu arbeiten oder unser Kompaktausbildungsprogramm zu verlassen und sich einen anderen Prüfer zu suchen. Einer hat uns auch als "zu belastet" verlassen. - Es geht also durchaus korrekt und leistungsbezogen zu. Es werden keine Prüfungsnoten "verschenkt", sondern eine echte begleitende Evaluation gemacht und die Leute durch positiven Anreiz zu ordentlicher Leistung angeregt.

C5 Bisheriger Eindruck und weitere Evaluation

All das wird in einem rückläufigen Bewertungsbogen von den Studenten nach Abschluß ihrer Prüfung bewertet. Diese Bewertungsbogen werden gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet. Wir haben vor, überdies jetzt an alle Teilnehmer der letzten Jahre nochmals einen halbstandardisierten Fragebogen zu senden, gleichzeitig mit der Aufforderung, direkt an das Wissenschaftsministerium zu schreiben, damit man dort auch ungefilterte Meinungen der Studenten bekommt.

Die bisherigen Ergebnisse bei den Prüfungen haben gezeigt, daß die jungen Leute Wesentliches für die Praxis mitnehmen, das nicht nur auswendig herbeten, sondern wirklich damit arbeiten und freie Entscheidungsfindung anwenden können.

Wesentlicher positiver Nebeneffekt: Durch das Lehren und Zuhören bei der Fortbildung wird auch die Fortbildung und Ausbildung der hier tätigen Assitenten wesentlich aktiviert und verbessert.

Ein Forschungsauftrag zwecks systematischer Evaluation und ev. Fortführung läuft beim Wissenschaftsministerium, liegt dort allerdings schon über einem Jahr unerledigt.

C6 Konklusion und Ausblick zum Kompaktlehrversuch

Wir haben also hinsichtlich Verbesserung der Fortbildungs- und Ausbildungslandschaft keineswegs nur Konjunktivsätze angebracht: "man müßte..", "man sollte ...", "man dürfte doch nicht ...", haben vielmehr im Rahmen der möglichen Lehrfreiheit ein eigenes Kompaktprogramm dargestellt, welches folgende Kriterien aufgewiesen hat.

  • Lebendiges Zusammenfließen von Theorie und Praxis

  • Optimierung des Wissens- und Kenntnisstandes der Ausbildungs-Kandidaten ohne sinnlosen Prüfungsstress im Rahmen begleitender Evaluation

  • Schaffung von Überblickswissen vor Detailwissen durch koordinierten Unterricht von mehreren Unterrichtenden, aber unter einer koordinierenden Oberleitung

  • Einbindung der Facharztausbildungs-Kandidaten in die Studentenlehre und dadurch auch Verbesserung des Fortbildungs- und Ausbildungsniveaus auf dem Facharzt-Sektor

  • Attraktiv für die Studenten im Rahmen zusätzlicher kommunikativer und gesellschaftlicher Aspekte.

  • last not least all das ohne die "Riesenkosten", welche häufig gegen den modernen Kleingruppen-Unterricht ins Treffen geführt werden.

Natürlich haben wir das alles keineswegs selbst erfunden, sondern nur aus Wissen und Kenntnissen zusammengetragen, etwa über den Kleingruppenunterricht an britischen Universitäten, an amerikanischen Universitäten, in Herdecke in der deutschen Experimental-Universität. Wir haben es aber nicht einfach nachgeahmt, sondern mit eigenen innovativen Elementen individuell ausgestattet.

Wir glauben, daß das Modell die Lebensfähigkeit derartiger Kleingruppenunterrichte, die zu einer deutlichen Qualitätshebung des medizinischen Ausbildungsstandes beitragen, bewiesen hat und regen weitere derartige Lehrversuche auf breiterer Basis an. Sie könnten wiederum die Basis für klar und immer besser werdende Richtlinien im Rahmen einer medizin-didaktischen Wissenschaft werden.

D Gemeinsame Konklusion

  1. Wir brauchen keine einmalige Reform der medizinischen Lehre, sondern institutionalisiertes ständiges Bemühen um deren Optimierung und Anpassung an die immer neuen Herausforderungen, welche auf uns zukommen.

  2. Wir konnten die wesentlichen derzeitigen Fehlerquellen klarstellen, nämlich

    • ein Motivations-abträgliches System ohne Evaluation

    • fehlende Koordination und Integration durch die dafür Verantwortlichen

    • Den besonderen Schwerpunkt der Qualitätssicherung für die Lehre haben wir als besondere Fehlanzeige in Österreich klargestellt.

  3. Durch unseren Kompaktlehrversuch mit integriertem Rigorosum haben wir bewiesen, daß auch in unserem System bei gutem Willen und Innovationsfreudigkeit eine Menge möglich ist, und man nicht auf die wunderbare Veränderung von oben warten muß. Anderseits ist aber klargestellt, daß die ministerielle Seite seit Jahrzehnten ihre Innovations- und Evaluationspflicht weitgehend nicht erfüllt und dazu aufgerufen werden soll.

E Literatur

BAROLIN, G.S.:
Gedanken zum medizinischen Lehrplan. Österr. Ärztezeitung XII, l8, (l957), 696-698
Ders.:
Unser Gesundheitssystem auf dem Prüfstand. W. Maudrich-Verlag Wien, (l99l), 276 Seiten
Ders.:
Schlaglichter auf die deutsche Privatuniversität Witten-Herdecke. Österr. Krankenhaus-Zeitung 34, (l993), 493-497
Ders.:
Die derzeitige (unbefriedigende) Situation der postpromotionellen ärztlichen Ausbildung - Wegweisungen aus dem Dilemma. Österr. Krankenhaus-Zeitung 34 (l993), 453-458
Ders.:
Was war, was bleibt, was wird? Fragen der Fortbildung und Ausbildung (auch hinsichtlich EU). Der Mediziner, 8/9,(l994), 32-36
Ders., E. DITTEL, K. STELLAMOR:
Zur Qualitätssicherung im Gesundheitswesen in Österreich. Österr. Krankenhauszeitung 35, (l994), 95-97
HITZENBERGER, G.:
Der Impact-Faktor als Bewertungsgrundlage für medizinische Zeitschriften. Wiener Med. Wochenschrift 24, (l995), 668-669.



zum Anfang
Anfang der Seite / top of page


[ Bestellen | order | [ Zusammenfassung | abstract | [ Autoren | authors
[ Inhalt | contents |


[ Home | ZSfHD | ÖGHD Projekte | Links | Termine & News | ÖGHD | Suche |