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Zeitschrift für Hochschuldidaktik Nr. 1-2/1996:
Qualität der Hoschschullehre
STANDHARDT, Rüdiger / LÖHMER, Cornelia (Hrsg.):
Zur Tat befreien.
Gesellschaftspolitische Perspektiven der TZI-Gruppenarbeit.
Mainz: Matthias Grünewald Verlag 1994
Mit ihrem Sammelband wollen STANDHARDT / LÖHMER dem gesellschaftspolitischen Anliegen, das Ruth COHN immer schon mit ihrem Konzept der Themenzentrierten Interaktion (TZI) verfolgt hat, bisher aber in der TZI-Gruppenarbeit eher vernachlässigt worden ist, mehr Geltung verschaffen. Angesichts der vom Menschen verursachten Bedrohungen und Krisen auf unserem Planeten wird es Zeit, uns der Interdependenzen zwischen Menschen und 'Globe' (= Umfeld und historischer Kontext einschließlich ökologischer Herausforderungen) klar zu werden und die Verantwortung für unsere Lebensbedingungen zu übernehmen.
"Ziel des Buches ist es, Anstöße zu geben, die zum eigenen Weiterdenken ermutigen und schließlich 'zur Tat befreien' wollen" (S.10). Dieses Ziel verfolgt ebenso die Hochschullehre, zumindest in den gesellschaftswissenschaftlichen Studien. Insofern halte ich dieses Buch insbesondere für hochschuldidaktisch Interessierte für anregend.
Die Anstöße in Form von Beiträgen verschiedener Autorinnen und Autoren sind schon von der Gestaltung her sehr unterschiedlich:
Nach einer einfühlsamen Rückführung der TZI-Idee auf die Wurzeln und damit die ursprünglich politische Dimension bei Ruth COHN durch Cornelia LÖHMER folgt die Aufzeichnung eines sehr persönlichen, offenen Dialoges zwischen Ruth COHN und Friedemann Schulz von Thun über die Schwierigkeiten, über die 'Person' hinaus wirksam zu werden, den Mut zu haben, die kleinen Schritte zu gehen und zu akzeptieren, daß es keine Sieben-Meilen-Schritte sind.
Danach folgen zwei theoretische Artikel: einer von Günter HOPPE, der ein drittes TZI-Postulat fordert: 'Misch Dich ein! Greif ein!', und mit von Ruth COHN entwickelten Axiomen verknüpft; ein zweiter von Helmut JOHACH betont die humanistischen Werte als Kontrapunkt zu Arbeits- und Selbstentfremdung und fragt nach den Möglichkeiten und der Reichweite (regional und auf berufliche Gruppen bezogen) von TZI. Konsequent kommt dabei auch die Ausrichtung des Ausbildungskonzeptes für Themenzentrierte Interaktion ins Blickfeld.
Rose Stotz versucht einen Vergleich der Konzepte gewaltfreien politischen Handelns bei GANDHI und Martin Luther KING.
Sehr an praktische Erfahrungen anknüpfend sind die Beiträge von Annedore SCHULTZE, die ihre Arbeit mit gesellschaftspolitisch aktiven Gruppen beschreibt, wobei besonders ihre Erfahrungen aus Polen spannend sind, sowie der Text von Elisabeth MIESCHER, die ihre eigenen parteipolitischen Erfahrungen, ihren mühevollen Entwicklungsprozeß als politisch aktive Frau in der Schweiz, den Umgang mit den engen Grenzen eindrucksvoll darstellt.
Ganz ein anderes, nicht minder wichtiges Tehma greift Günter HOPPE auf, indem er in seinem Aufsatz 'Männer auf der Suche nach sich selbst' den Versuch beschreibt, die durch Sozialisation verinnerlichten Geschlechtsrollengrenzen zu bearbeiten.
Nach diesen theoretischen und konkret-praktischen Auseinandersetzungen mit Themenzentrierter Interaktion folgen Beiträge, die kritisch die Chancen einer Gruppenarbeit mit TZI hinsichtlich gesellschaftspolitischer Wirksamkeit einschätzen oder ähnliche Ansätze als Perspektiven-Erweiterung vorstellen. So ist zunächst ein Brief von Hilarion PETZOLD abgedruckt, in dem er seine skeptisch-kritischen Bemerkungen zum Buchkonzept darlegt. Er fragt, ob Therapeuten beziehungsweise therapeutische Methoden bei gesellschaftspolitischen Anliegen überhaupt wirkungsvoll zur Veränderung beitragen können. PETZOLD schätzt die grundsätzliche Gefahr, nur weitere "seichte, weltverbessernde Floskeln" (S. 166) zu verbreiten, meines Erachtens durchaus realistisch ein. Wenn gemeinsame Arbeit in Gruppen etwas bewirken kann, dann seiner Meinung nach in Auseinandersetzung mit neuen Herausforderungen wie der neuen Kosmologien in Konfrontation mit unserem Standort gegenüber Leben und Tod, keinesfalls aber durch Flucht in Gruppenintimität. Auch Gerhard BREIDENSTEIN fragt angesichts der globalen Krise, für die es keine wirksame Therapie gebe, sondern der nur durch radikalen Neubeginn etwas entgegengesetzt werden könne, ob TZI radikal genug dem 'Globe' begegnen und an der Neuorientierung mitarbeiten könne, ohne sich für falsche Ziele in Dienst nehmen zu lassen.
Gil DUCOMMUN stellt einen ökospirituellen Ansatz dar, eine Haltung, die dem Leben verpflichtet ist und dadurch Parallelen zur TZI aufweist.
Interviewt von Olaf-Axel BUROW erläutert (der inzwischen verstorbene) Robert JUNGK seine Idee der Zukunftswerkstatt, bei der die Kreativität, die tieferliegenden Schätze der Menschen genutzt werden sollen, um Lösungsmögllichkeiten für konkrete Probleme zu entwickeln. Dabei ist es JUNGK wichtig, die Ideen auch umzusetzen, die Veränderung in Gang zu setzen.
Norbert MÜLLERT konkretisiert in Briefform die Arbeit in Zukunftswerkstätten. Er beschreibt ein Beispiel und stellt die Grundprinzipien vor.
Anschließend folgt eine sehr interessante Bibliographie zum Thema Zukunftswerkstättenarbeit von Rüdiger STANDHARDT und ein Beitrag von ihm über die Verzweiflungs- und Ermutigungsarbeit nach Joanna MACY. Dieser vielleicht zunächst im Kontext politischer Arbeit eigenartig anmutende Ansatz (Verdacht der Psycho-Szene) überzeugt in der Argumentation der Wichtigkeit der Bewußtseinsbildungsarbeit. Erst das Wahrnehmen und Zulassen der Gefühlsebene ermögliche den Menschen die Sicht auf die Verbundenheit mit allem Lebendigen und eine ganzheitliche Weltsicht, die zu verantwortungsbewußtem, gesellschaftsveränderndem gemeinsamem Handeln führen könne.
Im abschließenden Beitrag schildert Ute VOLMERG ihre Erfahrungen in der Arbeit mit Engagierten aus politischen Aktionsgruppen. Dabei ist besonders der eindringlich geschilderte Konflikt zwischen persönlichem und politischem Leben sowie der im Gegensatz zur Zielerreichung bestehenden Normen in solchen Aktionsgruppen insofern spannend, als er noch einmal das Erfordernis einer ganzheitlichen Sicht- und Lebensweise verdeutlicht.
Der Grundgedanke des Buches, nicht nur anzusprechen, sondern anzustoßen, aktiv werden zu lassen, scheint zunächst - mittels geschriebener Texte - fast unmöglich. Dennoch - allein die Tatsache, daß die einzelnen Autorinnen und Autoren durch Bilder und kurze Biografien eingeführt, vertraut gemacht werden, bewirkt schon eine andere Qualität des Zuganges zum Text. Viele Texte, besonders die Dialoge, lassen die LeserInnen an ihrer Entstehungsgeschichte teilhaben und haben mich durch ihre Offenheit, geäußerte Ängste und Zweifel, Zugeben eigener Grenzen, aber auch Hoffnungen, in ihren Bann gezogen. Die Breite der Textauswahl bewirkte bei mir, daß das Angesprochensein einmal stark, einmal weniger stark da war. Ich nehme an, dies ist auch beabsichtigt - die Lösung gibt es nicht, sondern verschiedene Wege so wie verschiedene LeserInnen. Aus diesem Grund ist für mich dieses Buch wirklich ein Stück Befreiung zur Tat in dem Sinn, daß es keine Heilsbotschaft oder hehre, unerfüllbare Appelle liefert, sondern Beispiele, Überlegungen von Menschen, die selbst nach Möglichkeiten suchen, gesellschaftspolitisch aktiv zu sein.
Gunhild Sagmeister
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