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Zeitschrift für Hochschuldidaktik Nr. 2000/4:
Universitätsreform wohin?
Beiträge zur Suche nach einer adäquaten Identität

Richard MÄRZ | 1 (Vienna, Austria)

Kolonien oder unabhängige Zwergstaaten:
Ein eigener Weg für Österreichs Universitäten?

Mit diesem Heft begibt sich die Österreichische Gesellschaft für Hochschuldidaktik, als Herausgeberin dieser wissenschaftlichen Zeitschrift, auf ein für sie neues Parkett. Das Thema Universitätsreform ist ja nicht nur politisch relevant, wie Wissenschaft ohnehin sein muss, sondern darüber hinaus Gegenstand heftiger tagespolitischer Auseinandersetzungen, die dem argumentativen Niveau des - an sich notwendigen - Disputs nicht gerade zuträglich sind.

Es war aber genau dieses Problem, das uns veranlasst hat, das vorliegende Heft herauszugeben: Das Thema verdient und erfordert eine wissenschaftliche Auseinandersetzung. Oder - um eine alte Phrase zu beleben: Die Universitäten sind zu wichtig, um sie den Politikern zu überlassen. (Aber vermutlich auch zu wichtig, um sie den Wissenschaftlern zu überlassen.) Unsere Gesellschaft ist die einzige überparteiliche "Interessensvertretung" der universitären Lehre in Österreich und daher ist unsere Beteiligung an dieser Diskussion angebracht.

Wir hielten uns an unsere übliche Vorgangsweise, als Herausgeber für jedes Schwerpunktheft Experten zu engagieren. Da das Thema aber unbestreitbar eine politisch-ideologische Dimension besitzt, suchten wir ein Herausgeberteam, das gemeinsam in der Lage sein sollte, für eine wissenschaftlich fundierte Behandlung der Fragen zu garantieren und Autoren zu rekrutieren, die das gesamte Spektrum - auch im politischen Sinn - abdecken. Bereits im Vorwort wird klar, dass in diesem Band die politische Dimension nicht ausgespart, sondern explizit angesprochen wird. In seinem Beitrag gibt Prof. HÖLLINGER, der zuständige Sektionschef des Bildungsministeriums, unumwunden zu, dass die Reformabsichten der Regierung bei manchen der unmittelbar betroffenen Universitätsangehörigen große Bedenken ausgelöst haben. Allerdings macht er hauptsächlich den "Josefinischen Geist" der

Universitäten und weniger die Reformvorhaben an sich dafür verantwortlich. Andere Beiträge, wie der von Prof. HAGEN, suchen die faktischen Grundlagen solcher Bedenken auszuloten. Allen Beiträgen ist jedoch gemein, dass der wissenschaftliche Diskurs Vorrang vor dem polemischen Untergriff hat. Das eigentliche Anliegen der Österreichischen Gesellschaft für Hochschuldidaktik, die weitere Entwicklung der Qualität der Universitäten als Ort des Lernens, ist natürlich von den angedachten Reformen unmittelbar betroffen, wobei - wie immer - auch "Nichts-Tun", d.h. die Verweigerung von Reformen, Konsequenzen hätte. Kennzeichnend für die Diskussion ist jedoch, dass es kaum jemanden gibt, der den status quo verteidigt. Das geeignete Tempo, das Ausmaß und die Richtung der Reform sind demgegenüber in hohem Maß umstritten.

Die jetzige Situation, oder zumindest jene vor der Implementierung des UOG 93, erscheint mir der von Kolonialstaaten (den einzelnen Universitäten) ähnlich, die im Laufe der Jahre gelernt hatten, mit ihrem Herrn (dem Ministerium) geschickt umzugehen und in bzw. trotz ihrer Abhängigkeit eine gewisse Narrenfreiheit zu genießen. Die Untragbarkeit der Situation wurde mir jedoch wiederholt vor Augen geführt, besonders bei Kontakten mit ausländischen Universitäten.

So erinnere ich mich an einen Besuch der Universität Ljubljana vor etwa fünf Jahren: Gerade als ich die Überzeugung gewonnen hatte, das Abbild einer österreichischen Universität vor mir zu haben, entschuldigten sich meine Gastgeber wortreich für die Unzulänglichkeiten der Institution und begründeten sie mit den vielen Jahren kommunistischer Herrschaft, deren Auswirkungen nur langsam zu überwinden seien. Betreten dachte ich mir im stillen: "Und was ist unsere Ausrede …"? Ein anderes Beispiel war der Bericht eines holländischen Kollegen über die lächerlich zentralistischen Zustände in Rumänien, "wo das Ministerium und nicht die Fakultät festlegen würde, wie viele Stunden Anatomie ein Medizinstudium zu enthalten habe". (Auch in Österreich war bis zum UniStG 97 das Parlament dafür zuständig!) Die realen Auswirkungen des UOG 93 sind für eine detaillierte Bewertung vielfach noch zu wenig abschätzbar, da es Hochschulen gibt (wie etwa die Universität Vienna, Austria), die erst am 1. Jänner 2000 in das neue System "gekippt" sind. Weitere Reformschritte müssen also auf einer wenig gefestigten empirischen Grundlage erfolgen; andererseits sind die Argumente nachvollziehbar, die auf einen weiteren Reformschritt drängen. Vorsicht scheint mir jedenfalls geboten. Es sind die guten Erfahrungen mit den Auswirkungen des UniStG 97, die hoffen lassen, dass größere Autonomie in Summe Verbesserungen bringen wird. Gerade dieses Beispiel zeigt allerdings auch, dass der Autonomie überraschende Grenzen gesetzt sein können - ob beabsichtigt oder vom Gesetzgeber übersehen ist dabei nicht immer klar. So ist es den meisten Universi täten untersagt, Zulassungskriterien für bestimmte Studienrichtungen zu definieren - das Ministerium darf es aber weiterhin (per Verordnung). Als Folge davon ist z.B. noch immer Latein in der Mittelschule erforderlich, um Medizin zu studieren.

Als gelernter Österreicher ist man über solches nicht wirklich überrascht. Schon Roda Roda formulierte: "Ohne Beziehungen käme der einfache Staatsbürger nie zu seinem Recht." Andererseits vertiefen solche Zustände das zynische Misstrauen, das viele Universitätsangehörige allen Aktionen des Ministeriums entgegenbringen. Hier wären viele vertrauensbildende Maßnahmen notwendig, bevor ein entspannter Dialog beginnen kann.

Gibt es einen österreichischen Weg? Im Sinne aller Beteiligten kann ich nur hoffen, dass wir einen finden. Lewis ELTON (Physiker und jetzt Hochschuldidaktiker am University College London), der als Konsulent in hochschuldidaktischen Fragen auf allen Kontinenten tätig war, erzählte schon vor Jahren folgende Schnurre: Jede Konsultation verlaufe nach dem gleichen Schema. Zunächst werde er stundenlang mit Wehklagen über die einzigartigen Probleme der jeweiligen Institution überhäuft. Bei der ersten Gelegenheit für eine Wortmeldung pflege er daraufhin zu fragen, welche Lösungsmöglichkeiten bisher in Betracht gezogen worden seien. Unweigerlich würde daraufhin freudenstrahlend ein Reformmodell aus Harvard, Stanford oder einer sonstigen Eliteuniversität aus der Schublade gezogen, unbeschadet der Tatsache, dass dieses Projekt in der Heimatinstitution längst als gescheitert ad acta gelegt worden sei.

Laut ELTON wäre genau die umgekehrte Vorgangsweise angebracht. Denn die Probleme sind auf der ganzen Welt recht ähnlich gelagert: Neue Anforderungen und zuwenig Ressourcen. Die Lösungen hingegen müssen vor Ort gefunden werden, denn die Rahmenbedingungen sind überall so verschieden voneinander, dass das Kopieren eines "Erfolgmodells" unweigerlich zum Scheitern führen muss.

Aus meiner Sicht macht die (derzeitige?) Enge des österreichischen "Universitätsmarktes" einen eigenen Weg unverzichtbar. Es gibt viel zu wenig Beweglichkeit der Fakultät und de facto gar keine Beweglichkeit der Studierenden und der Absolventen (immer im internationalen Vergleich). Qualitätsstandards für Forschung werden zwar langsam zur Routine; auch an Qualitätsstandards für universitäre Lehre darf allmählich gedacht werden (die flächendeckende Implementation liegt allerdings noch in weiter Ferne). Qualitätsstandards für universitäre Verwaltung zu fordern wäre jedoch zur Zeit Häresie. Das aus der Welt des Managements stammende Erfolgsrezept für Zwergstaaten, den Universitäten zu USPs (unique selling propositions) zu verhelfen, wird vielen Bedürfnissen unserer Studierenden und unseres Landes nicht gerecht werden.

Klar ist auch, dass strukturelle Änderungen der Universitätsorganisation nicht automatisch zur Verbesserung der Qualität der Universitäten als Ort des Lernens führen werden. Die Österreichische Gesellschaft für Hochschuldidaktik sieht weiterhin einen großen Reformbedarf auf diesem Gebiet, der sinnvollerweise aber erst dann begonnen werden kann, wenn eine intensive Auseinandersetzung mit den Zielen, Möglichkeiten und Notwendigkeiten solcher Reformen stattgefunden hat. Als Beitrag zu dieser Diskussion planen wir für den Mai 2002 mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur eine "Kompetenz-Konferenz", bei der Universitäten und Fachhochschulen, Personalchefs von Betrieben und Institutionen, sowie Personalberater und -entwickler gemeinsam diskutieren sollen, - welche Kompetenzen in den verschiedenen Feldern der beruflichen und gesellschaftlichen Praxis gebraucht werden und - wie die Verantwortung für deren Entwicklung, Überprüfung und Sicherung aufgeteilt werden sollte.

Abschließend muss ich dem Herausgeberteam dieser Ausgabe der Zeitschrift für Hochschuldidaktik meine Bewunderung aussprechen: Ihm ist in unglaub-lich kurzer Zeit gelungen, eine repräsentative Zusammenstellung der unterschiedlichen Standpunkte zu einem Band zu machen, der in den folgenden Diskussionen wohl immer wieder zitiert werden wird. Ich kann es unseren Universitäten nur wünschen, dass in Zukunft die Diskussion in ähnlich konstruktiver und disziplinierter Form weitergeführt wird.

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