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Zeitschrift für Hochschuldidaktik Nr. 1998/3
Salbei und Opernduft.
Reflexionen über Wissenschaft

Luise Gubitzer,Ada Pellert (Wien)

Vorwort

Seine Meinung war, man befinde sich in diesem Jahrhundert mit allem Menschlichen auf einer Expedition ... .
(Robert Musil, 1952/1970: Der Mann ohne Eigenschaften. Wien, S. 46)

Mit dem vorliegenden Heft präsentiert eine Gruppe von WissenschafterInnen Einblicke in ihre mehrjährige gemeinsame Arbeit.

Die Organisationsform dieser Arbeit ist ein Seminar, das am iff (Interuniversitäres Institut für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung) unter wechselnden Titeln, zuletzt Vernetzung und Widerspruch, angeboten wird. Die Seminarblöcke sind halb-, manchmal ganztägig. Sie beginnen mit dem Referat einer Teilnehmerin, eines Teilnehmers, wobei die Ausführungen einen autobiographischen Bezug haben. Dem Referat schließt sich eine Diskussion an.

Die Besonderheit unseres Seminars liegt darin, daß universitäre WissenschafterInnen aus unterschiedlichen Disziplinen gemeinsam mit VertreterInnen anderer Berufe reflektieren, wie sie Wissenschaft betreiben, was ihnen dabei wichtig ist und auf welche gesellschaftlichen Problemfelder sie sich beziehen.

Zusammengeführt hat uns ein Unbehagen über den Wissenschaftsbetrieb, über die Enge der Gegenstände und der Methoden; zugleich aber auch die Hoffnung auf eine aktivere Rolle der Wissenschaft bei der Lösung von gesellschaftlichen Problemen. Wir gingen aus von Widersprüchen zwischen Wissenschaft als kommunikativem sozialem System und unserem spezialisierten Berufsalltag, zwischen wissenschaftlicher Freiheit und Methodenzwang, zwischen akademischer Innensicht und gesellschaftlicher Praxis.

Die Hoffnungen, die Widersprüche, das Unbehagen und die Gründe, warum und die Art, wie wir Wissenschaft betreiben, führten uns zur Frage nach den Aufgaben von Wissenschaft. Aus der Aufgabenbestimmung ergaben sich verschiedene Attribute für Wissenschaft, die in diesem Heft verwendet werden: Traditionelle Aufgaben werden in Erinnerung gerufen, vor allem die der Reflexion, daher reflexive Wissenschaft. Die Aufgaben von Wissenschaft werden erweitert um die Initiierung und Begleitung von Prozessen, daher prozeßorientierte Wissenschaft. In alternativer Wissenschaft werden alte und neue Aufgaben von Wissenschaft vereinigt. Diese Vielfalt, oft auch Unschärfe der Begriffe, erscheint uns dem Stadium unseres Suchprozesses angemessen.

Reflexiv, prozeßorientiert und alternativ sollten auch unsere Arbeitsmethoden sein.

Salbei und Opernduft, der Titel dieses Heftes, bezieht sich auf unsere methodischen Experimente. Das erste Experiment war ein von Karl Kratky geleiteter Workshop zu schamanischen Ritualen, bei dem unter anderem auch Salbei verbrannt wurde. So konnten wir Einblick gewinnen in Behandlungsweisen außereuropäischer Heilkunde und sie auch praktisch in Form von angeleiteten Übungen erfahren. Das zweite Experiment war eine Führung durch die Wiener Staatsoper durch Christian Kollros. In der Erkundung des Gebäudes, seiner Geschichte, seiner Atmosphäre wurden wir eingestimmt auf eine Diskussion über das Verhältnis von Wissenschaft und Kunst. Rainer Buland hat uns spielerisch mit Praxis und Theorie der Spielforschung bekannt gemacht.

Dem Experimentieren folgte die Verbalisierung, das Sprechen und Reflektieren über das Erfahrene, sowie das theoretische Fassen der Methode und ihres Bezugs zur Wissenschaft. Die Beschäftigung mit Themen wie Kunst und Wissenschaft, Wissenschaft und Magie zeigten uns Grenzen, aber auch Möglichkeiten der Grenzüberschreitung. Themen wie Sprache und Schreiben, Menschen- und Gesellschaftsbilder, Wissenschaft und Verantwortung dienten der Reflexion des eigenen Tuns.

Von all dem handeln die folgenden Beiträge. Zur Veranschaulichung unserer vorrangigen Arbeitsmethode, dem Diskurs auf Basis eines autobiographischen Zugangs, haben wir eine moderierte Diskussion über die gemeinsame Arbeit geführt, die den ersten Beitrag bildet. Die weiteren Beiträge sind von einzelnen SeminarteilnehmerInnen verfaßt. Die Themen waren jeweils Inhalt mehrerer Seminarblöcke und wurden in diesen kontrovers diskutiert. In den Einzelbeiträgen sind die Kontroversen großteils nicht ersichtlich; sie zeigen sich erst in der Zusammenschau der Beiträge.

Reflexionen über Wissenschaft lautet der Untertitel dieses Heftes. Wissenschaftsreflexion ist längst zum Gegenstand einer Disziplin, der Wissenschaftstheorie, und dadurch elaborierter geworden. Dabei aber hat sie (teilweise) den Bezug zum alltäglichen Tun und Denken der WissenschafterInnen verloren. Aus der Sicht der WissenschafterInnen ist damit die gemeinsame Reflexion des eigenen beruflichen Tuns an SpezialistInnen delegiert und kommt im eigenen Alltag kaum vor. Diese Reflexion ist im Berufsalltag aber unumgänglich, damit WissenschafterInnen sinnvoll und befriedigend arbeiten können.

In diesem Sinne liegen hier Zwischenergebnisse einer Reflexionsgruppe und ihrer einzelnen Mitglieder und nicht fachwissenschaftliche Beiträge zur Wissenschaftstheorie vor. Die Ergebnisse - erste Spuren einer gemeinsamen Expedition - sollen vor allem Mut machen, sich ähnliche Kontexte zu organisieren und Wissenschaft als Beruf in Vernetzung auszuüben, damit WissenschafterInnen ihre vielfältigen Rollen auch aktiv in der Gesellschaft wahrnehmen.




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