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Zeitschrift für Hochschuldidaktik Nr. 1/1998:
Innenansichten aus der universitären Lehre

Gottfried S. Csanyi

Editorial

"Die Lehre an den Universitäten und Hochschulen dient der Bildung der Studierenden durch die Auseinandersetzung mit der Wissenschaft und der Kunst."

So lautet der erste Satz des Zielparagrafen (§2) im österreichischen Universitäts-Studiengesetzes von 1997. Bildung durch Auseinandersetzung! Nicht: Bildung durch Rezeption oder Bildung durch Kenntnisnahme. Ein wesentlicher Anteil aller universitären Lernsituationen besteht aber genau darin, daß die Ergebnisse vergangener wissenschaftlicher Tätigkeit den Studierenden zur Kenntnis gebracht werden und von diesen zur Kenntnis zu nehmen sind.

Wie groß dieser Anteil ist, das variiert von Sprachraum zum Sprachraum, von Universität zu Universität, von Fach zu Fach und von Studiengang zu Studiengang. Besonders kritische Menschen behaupten jedoch, daß innerhalb des österreichischer Studienangebotes keinerlei nennenswerte Variation existiere. Denn praktisch alle Studiengänge seien hier auf lehrerzentrierte Frontalvorlesungen aufgebaut; und Auseinandersetzung finde de facto nicht statt.

An diesem Pauschal(vor)urteil kann zwar - vor dem Hintergrund internationaler Vergleiche - ein wahrer Kern nicht wirklich geleugnet werden. Dennoch ist es in seiner Undifferenziertheit natürlich nicht haltbar. Mag sein, daß es an österreichischen - und deutschen - Universitäten nach wie vor an systematisch konzipierten "Teaching Strategies" und Curriculumstrukturen mangelt, die den Studierenden in gezielter Herausforderung die Auseinandersetzung mit (und nicht nur die Kenntnisnahme von) Wissenschaft abverlangen. Aber unterhalb der institutionellen Ebene von Studienplänen bzw. "Mission Statements" wimmelt es geradezu von individuellen Initiativen gegen den Primat der Kenntnisnahme.

Von einigen dieser - meist kleinsträumigen - Initiativen handelt der Hauptteil dieses Bandes. Die meisten AutorInnen haben vielleicht ihre Lehr- (oder sollte ich konsequenterweise sagen: Lern-) Veranstaltungen nicht explizit unter diesem Gesichtspunkt beschrieben, daß sie eine Möglichkeit darstellen, von der Kenntnis zur Auseinandersetzung zu kommen. Aber für mich ist das die Klammer, durch die eine Reihe von sehr unterschiedlichen Einzelbeiträgen zu einem homogenen Ganzen wird. An einem solchen Konvolut von - derzeit noch nicht systematisierten - Überlegungen müssen wohl alle Studiengänge, Fakultäten und Universitäten im deutschen Sprachraum in den kommenden Jahren und Jahrzehnten noch sehr intensiv weiterarbeiten, wenn sie sich um klare, effektive und effiziente Lernmöglichkeiten für ihre Studierenden bemühen wollen. Und das werden sie - wenn nicht anders motiviert, dann aus externen Gründen.

Die Beiträge dieses Bandes stammen zwar zum Großteil aus dem geisteswissenschftlichen Bereich bzw. aus der Betriebswirtschaftslehre. Ihre fachliche Herkunft beschränkt aber keineswegs die Übertragbarkeit der beschriebenen Überlegungen, Lösungen und Erfahrungen auf andere Disziplinen und Zusammenhänge.

Die Bedeutung des Lernorts ist bei H.-G. Müller eines der zentralen Themen - gefaßt als jener Ort, an dem die Konfrontation der Studierenden mit der Realität stattfindet, welche sie mit wissenschaftlichen Mitteln zu durchdringen suchen, um daraus Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Lernort aber auch gesehen als Lokalisierung in einem historisch-politischen Universum, das sowohl die Möglichkeiten der wissenschaftlichen Auseinandersetzung als auch des praktischen Handelns massiv mitbestimmt.

Die Entwicklung einer Anfängerveranstaltung (ebenfalls in der Pädagogik) über einen Zeitraum von zehn Jahren beschreiben Regina Mikula und ihre Ko-AutorInnen. Interessant und übertragbar erscheinen mir daran vor allem das Konzept des persönlichen Zugangs der StudienanfängerInnen zum gewählten Studienfach und die Strategie der kontinuierlichen Reform von Lehrangeboten aufgrund von Erfahrungen und Rückmeldungen. Beides sicher keine auf die Pädagogik beschränkte Möglichkeiten.

Ein Tutorensystem wird - wie auch bereits im vorhergehenden Beitrag - von Josef Weissenböck beschrieben. Genaugenommen ein Ausbildungssystem für TutorInnen, das als Konsequenz einer Evaluationsstudie initiiert worden ist. Auch so kann es also funktionieren, wenn jemand die Zeit und die Beharrlichkeit hat, über mehrer Jahre hinweg unabhängig von materiellen Interessen konsequent die Verbesserung der Lehre in einem bestimmten Bereich zu seinem Anliegen zu machen.

Möglicherweise ist das derzeit in Österreich nur idealistischen Studierenden möglich - wie das Beispiel von Weissenböck andeutet. Er setzt die mit der Diplomarbeit begonnenen Aktivitäten (an der Publizistik) konsequent in seiner Dissertation fort. Transferierbar erscheint mir an seinem Beitrag jedoch vor allem das Ausbildungsmodell, das für alle großen Studienrichtungen anregend sein könnte (also neben der fachverwandten Psychologie die Medizin sowie die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften).

Sich in die Situation eines anderen zu versetzen, ist nicht nur die entscheidendste soziale Schlüsselqualifikation, sondern auch eine interessante und fruchtbare Strategie der rationalen Durchdringung eines Gegenstandsbereichs. Im Haus des Lernens, das im Beitrag von Achim Stephan errichtet wird, bewegen sich einige der großen Gestalten der Philosophiegeschichte als lebende und sprechende Figuren - dargestellt von den SeminarteilnehmerInnen. auf diese Weise kann nicht nur eine argumentative Auseinadersetzungen über die Jahrtausende hinweg veranschaulicht werden. Sondern die Studierenden werden auch befähigt und gezwungen, sich mit den Binnenstrukturen verschiedener philosophischer Positionen vertraut zu machen. Dies mag zwar auf den ersten Blick als bloß für die Philosophie relevante Vorgangsweise erscheinen. Genau besehen erweist sie sich jedoch als ein brauchbares didaktisches Modell für jedes Fach, in dem eine historische Entwicklung der Erkenntnis durch Aufeinanderfolge von konkurrierenden Positionen erfolgt ist. Und ich könnte auf Anhieb kein Fach nennen, auf das dies nicht zutrifft.

Manfred Auer und seine Ko-Autoren gehen noch einen entscheidenden Schritt weiter. Sie lassen ihre Studenten nicht nur so tun also ob (sie z.B. Platon oder Humboldt wären). Sondern sie zwingen sie - oder vornehm ausgedrückt: ermutigen sie - in einer Praxissituation konkret zu handeln und ein echtes Problem in Echtzeit zu lösen. Bloß die Konsequenzen von Erfolg oder Mißerfolg bei der Problemlösung sind weniger rigoros als sie es in einer echten beruflichen Situation sein würden. Denn es handelt sich ja nach wie vor um Studium und nicht um professionelle Berufsausübung.

Ich denke daß bei diesem Beispiel aus den Wirtschaftswissenschaften gar nicht mehr dazugesagt werden muß, daß es - selbstverständlich in jeweils modifizierter Form - auf jede beliebige andere Studienrichtung übertragbar wäre. Intensivpraktika in medizinischen Studiengängen erfüllen z.B. einen ähnlichen Zweck - wenn sie entsprechend vorbereitet, strukturiert, betreut und kontrolliert werden. Genauso denkbar wären sie aber auch in der Pädagogik (nicht nur in der Lehrerausbildung oder der Sozialpädagogik) oder z.B. in der Mathematik. Bloß müßte im letztgenannten Fall vielleicht etwas mehr Kreativität auf die Identifikation von Problemen verwendet werden, die mit fachimmanenten Mitteln zu lösen sind.

Die beiden Beiträge im Schlußteil des Hefts sind explizit dem weiten Feld der Evaluation gewidmet. Christiane Spiel und Ursula Fischer präsentieren die Evaluierungsergebnisse des internen Weiterbildungsangotes der Universität Wien aus der Sicht der TeilnehmerInnen des ersten Programmjahrgangs. Die Konsequenzen, die aus den dargestellten und interpretierten Ergebnissen für die Weiterbildung der HochschullehrerInnen gezogen werden sollten, sind Gegenstand eines eigenen Beitrags im nächsten Heft der ZSfHD.

Gundhild Sagmeister letztendlich berichtet über Evaluierungsprozesse an zwei Universitäten in den USA und überlegt, was wir in Österreich daraus lernen bzw. übernehmen könnten.

Die Häufigkeit der Behandlung von Fragen der Evaluation deutet bereits darauf hin, daß, wo immer es um eine rationale und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Problemen und den Verbesserungsmöglichkeiten der universitären Lehre geht, Qualitätskontrolle offensichtlich auch hierzulande nicht mehr ganz wegzudenken ist.




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