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Zeitschrift für Hochschuldidaktik Nr. 4/1997:
Hochschulfinanzierung
Rezensionen
John Pratt: The Polytechnic Experiment. 1965-1992
The Open Uniersity Press, 1997, 358 Seiten, 65 Pfund
Der Autor dieses Buches ist österreichischen Bildungsexperten nicht unbekannt. Pratt war einer der Prüfer, die 1992 die OECD-Länderprüfung des österreichischen Hochschulsystems durchführten, durch die unser Fachhochschulmodell maßgeblich beeinflußt wurde. Die Idee, dieses Buch zu schreiben, steht damit in Zusammenhang, sie entstand 1991 während eines OECD Seminars, als Pratt seinem österreichischen Publikum zu erklären versuchte "why it was that the British polytechnic policy was so successful that it had been abandoned" (VII).
Der Titel "The Polytechnic Experiment" ist durchaus wörtlich zu nehmen. Pratt geht davon aus, daß den Polytechnics während ihrer gesamten Geschichte ein kohärentes und umfassendes Konzept zugrunde lag und es daher möglich sei "to 'test' the policy by asking how far the original aims were achieved by the time the polytechnics became universities" (305). Die in das hochschulpolitischen Konzept der Polytechnics eingebaute Hypothese lautete: die Expansion des Hochschulsystems könne am effektivsten durch Differenzierung in Form eines "binären Systems" erfolgen, wobei jeder der beiden Sektoren ein eigenständiges Profil seines Curriculums und seiner Studenten entwickeln und unterschiedlichen Organisations- und Finanzierungskonzepten folgen sollte:
- Die Universitäten standen in der "autonomen Tradition" (die viele Berüh-rungspunkte mit der uns vertrauten Humboldt'schen Tradition besitzt): sie sind der Eigenlogik von Bildung und Forschung verpflichtet, ihre Organisation gewährleistet eine Selbststeuerung durch das akademische Kollegium, sie zielen auf jenen Studententypus ab, der auch in kleinen Elitesystemen eine Hochschulbildung genossen hat.
- Die Polytechnics standen in der "Servicetradition": die Anforderungen von Wirtschaft und Gesellschaft und die darin implizierten Nützlich-keitskonzepte hatten für sie immer eine wesentlich höhere Verbindlichkeit; daher sollte ihre Organisation eine demokratisch legitimierte politische Kontrolle ermöglichen. Sie sollten einer "nicht-traditionellen" Klientel den Zugang zu Hochschulbildung eröffnen und innovative Formen des Curriculums entwickeln.
Eine Besonderheit der britischen Politik bestand darin, die beiden Sektoren nach dem Prinzip "different but equal" zu konzipieren. In allen anderen Ländern ist der nicht-universitäre Sektor den Universitäten formell untergeordnet, im wesentlichen dadurch, daß ihre Abschlüsse geringeren Wert besitzen bzw. sie die höchsten Abschlüsse nicht vergeben können. (Das gilt auch für Österreich, wo die Fachhochschulen bekanntlich kein Doktorat, geschweige denn eine Habilitation verleihen können.) Die britischen Polytechnics hingegen boten Kurse auch auf postgradualer Ebene (also Master's und Doctor's Degree) an, die freilich, anders als die universitären Studien, von einer eigenen Akkreditierungsbehörde, dem CNAA, validiert werden mußten. Das hat wesentlich zum Erfolg der Polytechnics beigetragen, zugleich aber auch den "academic drift" befördert, der schließlich zur Auflösung des binären Systems führte.
Pratt zeichnet den Verlauf dieses "Experiments" mit großer Genauigkeit nach, wobei den Studenten, dem Curriculum, der Qulitätssicherung, dem Lehrkörper, der Finanzierung und der Leitungsstruktur jeweils eigene Kapitel gewidmet sind. Am erfolgreichsten waren die Polytechnics bei der Entwicklung curricularer und didaktischer Innovation und bei der Rekrutierung nicht-traditioneller Studentengruppen. Sie bauten das Teilzeitstudium aus, entwickelten modulare Kursstrukturen sowie die Möglichkeit zur Akkumulation und zum Transfer von credits. Das Profil ihrer Studenten unterschied sich deutlich von den Universitäten: sie hatten einen höheren Anteil an Frauen, Angehörigen ethnischer Minderheiten sowie älteren und berufstätigen Studenten.
Weniger erfolgreich waren die eigenständigen Finanzierungs-, Leitungs- und Organisationskonzepte für die Polytechnics. Namentlich das schwierige Verhältnis zwischen den Polytechnics und den Local Education Authorities (LEA) war nach Pratts Auffassung der wichtigste Faktor, der zur Auflösung der Polytechnics als eigenständiger Sektor geführt hat. Die demokratische Kontrolle der Polytechnics lag nicht bei der Zentralregierung, sondern bei den Local Authorities, das sind Verwaltungsbehörden, die in etwa mit unseren Gemeindebehörden vergleichbar sind, und in deren Verantwortung die Organisation der kommunalen Infrastruktur sowie des Gesundheits-, Sozial- und Schulwesens gehört. Die LEA haben nie eine starke Identifikation mit ihren Polytechnics aufgebaut, im wesentlichen, weil sie in ihnen eher Institutionen von nationaler als lokaler Bedeutung sahen. Zugleich hatten sie das Gefühl, keine ausreichende Kontrolle über sie zu besitzen. Umgekehrt fühlten sich die Polytechnics, die sich am Ideal akademischer Autonomie orientierten, durch die LEA eingeengt. Angesichts dieser gestörten Beziehung fiel es der Regierung Thatcher leicht, die Kompetenzen der LEA zu schwächen und ihnen 1988 die Kontrolle über die Polytechnics gänzlich zu entziehen. Das war ein erster Schritt, dem kurz darauf das Ende des binären Systems folgte.
War die Auflösung des binären Systems unvermeidlich? Tatsache ist, daß die Grenzen zwischen den beiden Sektoren immer unschärfer wurden. Das bezog sich nicht nur auf den vielzitierten "academic drift", die Annäherung der Polytechnics an die Universitäten. Auch die Universitäten haben viele Merkmale und Innovationen der Polytechnics übernommen (z.B. Modularisierung des Curriculums, Rekrutierung nicht-traditioneller Studenten). Einem Bonmot von T. Burgess zufolge verdeckt der neuerrungene universitäre Status der Polytechnics nur den Umstand, daß mittlerweile alle Universitäten zu Polytechnics geworden sind. Falsch wäre es freilich, das "unified system" als ein homogenes zu betrachten. Differenzierung findet heute in anderer Form statt, aber in Summe hat sie vermutlich eher zu- als abgenommen.
Hans Pechar
Frank Ziegele: Hochschule und Finanzautonomie
Peter Lang, 1997, 306 Seiten, öS 658,-
Die Stärkung universitärer Autonomie und die Bildung von Globalhaushalten ist ein Trend, der in fast allen europäischen Staaten spürbar ist. Das vorliegende Buch versucht mittels eines ökonomischen Ansatzes eine theoretisch fundierte Basis zur Bewertung dieser Reformbestrebungen zu geben. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob und unter welchen Bedingungen es durch erweiterte Finanzautonomie zu Effizienzvorteilen kommt. Unter welchen Bedingungen wird Forschung und Lehre der Universitäten auf eine Weise bereitgestellt, die Wohlfahrtsverluste für die Bürger vermeidet?
Der Autor untersucht zunächst den derzeit realisierten Grad an Autonomie im deutschen System der Hochschulfinanzierung und diskutiert verschiedene Vorschläge zur Stärkung von Einnahmen- und Ausgabenautonomie. Der status quo zeichnet sich dadurch aus, daß die formelle Finanzautonomie der Hochschulen durch staatliche Eingriffe zwar stark eingeschränkt ist, zugleich aber ein beträchtlicher (und häufig unterschätzter) materieller Entscheidungsspielraum der Hochschulakteure auf der Ausgabenseite gegeben ist. Anders wäre die Freiheitsnorm bei Forschung und Lehre nicht zu realisieren. Die meisten Reformvorschläge gehen davon aus, daß ein Ausbau der finanziellen Handlungsspielräume die Hochschulen von effizienzhemmenden Restriktionen befreien würde. Dabei wird unterstellt, daß die Hochschulakteure als "wohlwollende Diktatoren" im Interesse der Allgemeinheit agieren. Demnach werden sie durch die eingeschränkte Finanzautonomie daran gehindert, ihren Informationsvorsprung zu einer effizienten Ressourcenallokation zu nutzen.
Im Gegensatz dazu geht Ziegele davon aus, daß auch das Handeln von Hochschulakteuren durch Eigeninteressen geleitet ist. Ein weiterer Schritt ist daher eine ökonomische Analyse des Anbieterverhaltens in Hochschulen. Auf Grund des Gewinnverbots können sie nicht als Profitmaximierer im herkömmlichen Sinn betrachtet werden. Ziegele beschreibt sie vielmehr als Prestigemaximierer, wobei Prestige primär in der Anerkennung durch Fachkollegen besteht. Dieses gewinnt man fast ausschließlich durch Forschungs-, kaum durch Lehrleistungen. Daher gibt es eine starke Tendenz zur internen Quersubventionierung der Forschung zu ungunsten der Lehre. Generell führt die Prestigemaximierung zu überhöhten Kosten bei Forschungsgütern, während die Hochschulakteure sich dadurch Verteilungsvorteile sichern können. Aus diesen Gründen kann man nicht davon ausgehen, daß eine Ausweitung der Finanzautonomie per se zu Effizienzsteigerungen führt. Ohne geeignete Rahmenbedingungen erhöht sich nur die Möglichkeit der Hochschulakteure, ihre Eigeninteressen zu verfolgen.
Das heißt aber keineswegs, daß die politische Restriktion des finanziellen Handlungsspielraums von Hochschulen generell zu höherer Effizienz führt. In einem dritten Schritt werden die politischen Entscheidungsträger in die Analyse einbezogen. Auch sie handeln nicht selbstlos, sondern zielen auf Stimmenmaximierung ab. Unter den Bedingungen von Informationsdefiziten und einem "kooperativen Verhalten zwischen Politik und Hochschulen" (d.h. einer Komplizenschaft zu Lasten der Steuerzahler) sind ineffiziente politische Gleichgewichte möglich bzw. wahrscheinlich. Ob die politischen Entscheidungsträger einer Erweiterung der Finanzautonomie von Hochschulen positiv oder ablehnend gegenüberstehen, hängt von bestimmten Kosten-Nutzen-Kalkülen ab. Wenn die fiskalischen Rahmenbedingungen es zulassen, daß Politiker speziellen Interessengruppen zur Sicherung ihrer Wiederwahl Vorteile zukommen lassen, werden sie ihren Handlungsspielraum nicht freiwillig beschränken. Unter den gegenwärtigen Bedingungen angespannter öffentlicher Haushalte gibt es aber gute Gründe, die Verantwortung für bestimmte Entscheidungen zu verlagern (im Sinne von "blame avoidance" bzw. "blame shifting").
Die Konsequenz aus diesen Überlegungen ist, daß pauschale Aussagen über die Wirkungen von Finanzautonomie unmöglich sind. Der springende Punkt besteht laut Ziegele darin, Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Eigeninteressen von Politikern und Hochschulakteuren wechselseitig restringieren. Das Anbieterverhalten sollte so kanalisiert werden, daß die Hochschulen aus eigenem Interesse effiziente Ergebnisse anstreben. Diese generelle Maxime wird an Hand zweier Varianten der Ausgabenautonomie näher spezifiziert: Eine Lockerung der haushaltsrechtlichen Regeln (sachliche Deckungsfähigkeit) führt (wie Ziegele auch an Hand einer Bewertung eines Modellversuchs an der Universität Bochum zu zeigen versucht) zu keinen systematischen Effizienzgewinnen. Hingegen sind bei einem Globalhaushalt, wenn er mit entsprechenden Anreizsystemen gekoppelt ist, Effizienzsteigerungen zu erwarten.
Die hier referierten Argumentationsmuster werden mit Hilfe ebenso komplexer wie abstrakter ökonomischer Modelle entwickelt. Das ist nicht jedermanns Sache und auch über den Nutzen dieser Modelle außerhalb des Feldes ökonomischer Theoriebildung mag man geteilter Meinung sein. Außer Zweifel steht, daß das Buch wertvolle Pionierarbeit bei der Entwicklung von Konzepten zur theoretischen Bearbeitung eines politisch äußerst brisanten Themas leistet.
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