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Zeitschrift für Hochschuldidaktik Nr. 2/1997:
Telematik und Fernstudium

Editorial

Die neuen Kommunikationstechnologien im Unterricht, insbesondere im universitären Bereich, sind in aller Munde. Überall deklarieren sich Spezialisten, welche wissen, wo und wie diese Technologien in der Praxis eingesetzt werden könnten (müßten), um die entsprechenden Institutionen auf die Zukunft vorzubereiten. Daneben gibt es allerdings weit weniger Personen, die sich in der Alltagspraxis mit dem Einsatz der neuen elektronischen Möglichkeiten beschäftigen. Diese Situation und die Erfahrungen eines im Vorjahr zu Ende gegangenen europäischen Projekts haben die Herausgeber veranlaßt, sich der Angelegenheit anzunehmen.

Das Projekt "DELTA-Demo", von dem hier die Rede ist, hatte zuvor sehr drastisch die realen Diskrepanzen deutlich gemacht, als Tools, die im Rahmen des DELTA-Schwerpunkts in den Förderungsprogrammen der Europäischen Kommission entwickelt worden waren, in einschlägigen praktischen Handlungsfiguren des Fernstudiums erprobt werden sollten.

Die Erfahrungen waren für alle Projektpartner - eine internationale Gruppe aus Fernstudieneinrichtungen in Holland, Deutschland, Spanien, Finnland, Schweiz und Österreich - äußerst ernüchternd. Es wurde zunächst kein einziges Tool gefunden, welches direkt einsetzbar war. Viele Produkte mußten gleich anfangs aussortiert werden, weil sie nicht in die praktischen Kontexte einfügbar waren; andere verlangten umfangreiche Adaptierungen vor jeglicher Anwendung. Etliche waren noch nicht fertig implementiert, einige korrespondierten nicht mit den didaktischen Standards der Gruppe, usw. Um dennoch die gesetzten Ziele des Projekts zu erreichen, mußte im Einvernehmen mit den Auftraggebern auf andere Produkte ausgewichen werden, die auf dem Markt verfügbar waren und schon einige Zeit kommerziell eingesetzt werden konnten. Es handelte sich um ein PC-Videokonferenzsystem sowie eine Plattform zu Computerkonferenzen.

Die Beiträge der beiden Herausgeber gehen genauer auf die Probleme ein, die der Projektkontext thematisiert bzw. stimuliert, um nicht zu sagen verlangt hat (Franz Palank).

In den letzten Jahren hat sich die Qualität der Einsatzmöglichkeiten der elektronischen Medien erheblich verbessert, ist ISDN z.B. eine zuverlässige Verbindung zum Datentransport geworden oder können Homepages auch von Laien entwickelt werden. Qualität wie Entwicklungsschübe, wie etwa durch die ATM-Technologien oder die Öffnung der Kabelnetze für breite Anwendungen sind absehbar oder auf dem Weg.

Gleichzeitig zeigt sich bei jedem neuen Kontext unerbittlich die Differenz zwischen Vision und Praxis und öffnet jeder Schritt vorwärts die Tür zu zahlreichen Maßnahmen, die auch zu setzen sind, soll das Werk wirklich gelingen. Zudem bedarf es der Individuen, die vorausschreiten möchten auf diesem Pfad der Technik, dem nicht nur Vertrauen begegnet. Der Mangel an Akkordierung von elektronischer Entwicklung und Pädagogik ist ein Thema, das nicht zu Unrecht in vielen Beiträgen des Heftes mitschwingt.

Insbesondere die Lehrerseite gerät unter Druck, zumal wie schon in früheren Entwicklungsetappen die Lernenden in der Wahrnehmung ihrer Interessen ermutigt werden. Bernard Levrat umschreibt in seinem Beitrag dies sehr schön mit dem Satz: "Teachers will not change much, but students will be enabled to access information and course materials wherever they find best". Die bevorstehenden oder bereits angelaufenen Veränderungen für das Lehren und für das Lernen sind enorm. Es zeigt sich, daß sich die Lehre oder auch darüberhinaus der Unterricht an der Schule weg von der Lehrerzentrierung hin zur Lernzentrierung bewegt, aber - was unserer Ansicht nach den größeren Einfluß haben wird - von der Lehrstoffvermittlung zur Lehrstoffbeschaffung mutiert.

Die bestehenden Fernstudieneinrichtungen Europas haben zunächst auf die Herausforderung sehr vorsichtig reagiert. Immerhin haben sie es in den letzten Jahrzehnten geschafft, stets unmittelbar erfolgreich lebbare Praxis zu kreieren, im weitgehend nüchternen Umgang mit den Visionen in den Köpfen der Akteure. Die daraus ersichtliche Behutsamkeit prägt daher den Weg dieser Einrichtungen, wird aber sehr schnell von Entschlossenheit und Konsequenz begleitet, wenn die Realisierung ihren Lauf nehmen kann.

Wir haben uns bemüht, Fachleute aus diesen Einrichtungen bzw. Kolleginnen und Kollegen mit einem Naheverhältnis zu diesen in unsere Aufsatzsammlung einzubinden, um diese Seite der hochschuldidaktischen Diskussion hervorzuheben und auf die breiten universitären Diskussionen einwirken zu lassen. Die wachsende Verknüpfung von konventionellen Universitäten und Fernstudieneinrichtungen steht allenthalben auf der Tagesordung und trifft sich mit den Intentionen der Herausgeber.

G. Schlageter et.al. beschreiben das Konzept der Virtuellen Universität, wie es zur Zeit an der deutschen FernUniversität in Hagen entwickelt und umgesetzt wird. Dabei wird vor dem Hintergrund langjähriger Erfahrung jenes Handlungsrepertoire in den Vordergrund gestellt, das im neuen elektronischen Kontext die bisherigen Schwächen - z.B. Schwerfälligkeit des Kommunikationsgefüges - des Fernstudiensystems überwinden hilft.

Bernard Levrat hat in seinem Artikel die Vielfalt der Tools aufgelistet, die heute elektronischer Kommunikation zur Verfügung stehen. Er verlangt eine neue Pädagogik, die den Potentialen der neuen Verkehrsformen gerecht zu werden vermag.

Glyn Martin geht von der Widersprüchlichkeit aus, die unsere Gesellschaft im Umgang mit den neuen Medien prägt. Die Veränderungen, die auf das Unterrichtsgeschehen zukommen, sind tiefgreifend und werden die Identität von Lehrenden und Lernenden neu konfigurieren. Eigenverantwortung auf der Seite der Lernenden, Servicefunktionen für die Institutionen, insbesondere die Universitäten treten als zentrale Attribute des lebenslangen Lernens in den Vordergrund.

Per Morgen wendet sich den Netzwerken zu, die im Kontext der elektronischen Herausforderung entstehen und neue Kooperationsebenen abzudecken vermögen (z.B. Europace, EADTU, regionale Netzwerke). Internationalisierung des Lernens stellt den unverzichtbaren Hintergrund künftiger Entwicklungen dar.

Lukas Mitterauer hat besonders die österreichische Reformsicht im Auge, stets anklingend lassend, daß die Zuwendung zu elektronischen Medien nicht ohne Krisen ablaufen kann - damit ein gutes Beispiel für regionale Befindlichkeit überhaupt.

Den Band beschließen Aufsätze, die stärker auf die Nutzer-Seite gerichtet sind. Rainer Ommerborns Artikel über das Herantasten traditioneller Fernstudien an den neuen Aufgabenkontext zeigt die bestehenden Systeme in der Übergangsperiode und in ihrem Bemühen um ebenso konkrete wie studentenbezogene Annäherungsprozeduren.

Per Bergamin referiert in seinem Artikel die Situation am Ende des angesprochenen Delta Demo-Projektes und die Notwendigkeit, stärker auch bottom-up-Entwicklungsmuster anzugehen.

Der Aufsatz von Franz Palank beschreibt schließlich Maßnahmen zur Stimulierung von bottom-up-approaches im Bereich der elektronischen Medien und stellt damit die Brücke zu einem zweiten Heft her, das 1998 unter dem Titel "Elektronische Archäologie" konkretere Implementierungsaspekte behandeln wird.

Wir hoffen, daß dieses Heft die Auseinandersetzungen um die Elektronischen Medien stimulieren wird.

Per Bergamin & Franz Palank




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